: Republikanische Ehren für einen König
■ Die französische Regierung hofiert Marokkos Monarchen Hassan II. / Menschenrechtler und Oppositionelle protestieren
Paris (taz) – Wenige Tage nach dem Chinesen Li Peng und dem Zairer Mobutu ist König Hassan II. aus Marokko der dritte autoritäre Herrscher, den Frankreichs Präsident Jacques Chirac in seinem Palast empfängt. Hassan II. gilt in Frankreich als ausgesprochener Freund. Während seines anderthalbtägigen Staatsbesuches, der gestern abend begann, trifft der Marokkaner sich nicht nur viermal mit Chirac, er erfährt außerdem die seltene Ehre, vor dem französischen Parlament sprechen zu dürfen.
Sämtliche kommunistischen und mehrere sozialistische Abgeordnete werden demonstrativ die Nationalversammlung verlassen, wenn Hassan II. dort heute nachmittag das Wort ergreift. „Wir haben nichts gegen den Besuch des marokkanischen Königs“, erklärten einige Abgeordnete gestern, „aber wir sind gegen seinen Empfang durch das Gremium, das die Menschenrechte, die Demokratie und die französische Republik repräsentiert.“ Zusammen mit marokkanischen Oppositionellen wollen sie heute abend gegen das Feudalsystem in Marokko protestieren. Als Treffpunkt haben sie das Trottoir vor der Pariser Brasserie „Lipp“ gewählt, von dem vor über 30 Jahren der prominente marokkanische Oppositionelle Mehdi Ben Barka entführt wurde. Die Vertreter der Polisario, der Befreiungsfront für die seit 1975 von Marokko besetzte Westsahara, die seit Jahren auf eine immer wieder verschobene Volksabstimmung über die Unabhängigkeit ihres Landes wartet, hielten ihre Protest-Demonstration in Paris bereits gestern abend ab.
„Marokko ist nicht China“, sagte der französische Europaabgeordnete Noäl Mamère gestern in Paris. Allerdings stehe auch in dem Königreich die Lage der Menschenrechte nicht zum besten. Selbst nach den Freilassungen von zahlreichen politischen Häftlingen aus Marokko und der Westsahara in den letzten Jahren, gebe es noch „Hunderte von Verschwundenen, Dutzende von politischen Gefangenen und weiterhin Mißhandlungen auf den Kommissariaten“, sagte er. „Wenn ein Staatschef persönliche Rache an den Kindern seiner Gegner nimmt, ist das keine Demokratie“, ergänzte Abraham Serfaty. Der heute 71jährige verbrachte 17 Jahre in geheimen Gefängnissen von Hassan II., bevor ihm 1991 die Staatsangehörigkeit aberkannt und er des Landes verwiesen wurde.
Andere Gegner des Regimes von Hassan II. wiederum dürfen das Land nicht verlassen, wie das Schicksal der Familie von General Oufkir zeigt, Nummer zwei des Königreiches, bis er sich 1972 angeblich selbst das Leben nahm. Seine Witwe und die sechs Kinder werden seit 19 Jahren an einem unbekannten Ort in Marokko festgehalten. Als eine Tochter Oufkirs im vergangenen Dezember versuchte, über die Grenze zu fliehen, wurde sie verhaftet.
So gut wie zwischen Chirac und Hassan II., der seit 35 Jahren auf dem Thron sitzt, waren die franko-marokkanischen Beziehungen nicht immer. General de Gaulle hatte sie nach der Ben-Barka-Entführung eingefroren. Erst 1976 empfing mit Valéry Giscard d'Estaing wieder ein französischer Präsident den König aus der Ex- Kolonie. Doch das Tauwetter währte nur ein paar Jahre: Ende der 80er Jahre sorgten das Engagement von Danielle Mitterrand für die Polisario und das Erscheinen eines Hassan-II.-kritischen Buches in Frankreich für neuerliche Verstimmung.
Chirac setzte am Beginn seiner Präsidentschaft vor einem Jahr ein anderes Zeichen: Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Marokko. Seither folgten ihm zwölf französische Minister. Die Themen ihrer Marokko-Reisen waren die Emigration nach Frankreich – die Hassan II. im Gegenzug zu wirtschaftlicher Unterstützung gerne stoppen will –, der Drogenhandel – Marokko produziert 70 Prozent des Cannabis, den Europa konsumiert – und die Korruption – von der Hassan II. sagt, daß es sie auch in Frankreich gebe.
Bei dem Staatsbesuch sollen kritische Themen ausgespart bleiben. Ebenso die Öffentlichkeit. Pressekonferenzen sind nicht vorgesehen. Und in vorausgegangenen Interviews hielt der König Distanz. Statt konkreter Antworten benutzt er gerne die Formel: „Wir wissen alles über euch – ihr wißt nichts über die islamische Welt.“ Dorothea Hahn
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