: Remo Park and the Chasm
■ Es würde ihn ja schon stören, wenn er jetzt nur so klingen würde, wie jemand anders
A propos Independent: B.I.D. wird gerne auch als BIT ausgesprochen und sollte bloß ein »Bißchen« sein, besser als der mittlerweile jährlich ganzheitlich zelebrierte Independentkuchen, den Wolfgang Doebeling mit soviel Jung und Alt anrührt, daß man sich daran den Magen verderben muß.
Der Hamburger Flüssigernährer Alfred Hilsberg hat mit seinem Labelprogramm zwar schneller lachen gehabt, das ihm jedoch inzwischen am eigenen Stamm vergeht. Der kleinkünstelnde Tobias Gruben löst sich von der »Erde«, die »Geräusche für die 90er« entpuppen sich als uninspirierte Flächen-Dudelei und die Flowerpornoes will außer der taz auch keiner mehr. Es bleibt ihm die Hoffnung auf Remo Park & the Chasm, die — so erklärte der Bandleader einer Prinz-Autorin — »am liebsten beim Chicagoer Wax Trax-Label unterschrieben« hätten, wie vor ihnen schon eine andere von »Hilfszwerg« (so ein alter Hamburger und gemeiner Spitzname des unfreiwilligen Talentscouts) gefeaturte Combo aus der Hanseatenstadt: KMFDM.
Mehr als die kommerziellen Ambitionen zieht es Remo Park aus gemeinsamer Leidenschaft mit den Electrobeatlern von KMFDM ins amerikanischen House-Sound- Paradies: Lärm und Tanz mischen sich dort wie sonst wohl nirgendwo — und Belgien zählt wegen Überfrittierung nicht mit.
Ein dichter Beatteppich liegt den meisten Kompositionen von Remo Park zugrunde. Nicht stoisch dahinpluggernd, sondern von verschiendenen Perkussionslauten aufgebrochen und durchwirkt, mal traditional vierviertelnd und dann wieder herumklöppelnd ausgerichtet. In diesem Zwiespalt liegen fast alle Liedgefüge der letzten LP der Band festgeschrieben. Nicht immer ist bloße Verzettelung am Werke. Zuviel Klangmaterial wird mitunter übereinandergeschichtet, gewaltsam, wie von einem Computerpult aus. Dann klingen Chrome und Alan Vega und Cabaret Voltaire und Bauhaus und Bolan und selbst die Sensational Alex Harvey Band wie aus einem einzigen spätmodernisierten Neonzuckerguß technisch einwandfrei reproduziert.
Dagegen muß eine Aussage Remo Parks irritieren: »Es würde mich schon stören, wenn ich jetzt nur so klingen würde wie jemand, den ich mal ganz toll fand.« Darüber braucht sich Remo Park jedoch keine grauen Haare wachsen zu lassen. Es gibt ja zum Glück die guten alten Gigs, bei denen live das Retortenschicksal sich retouchieren läßt. Das kann sogar — ganz »unverhofft kommt oft« — auf einer Veranstaltung wie der B.I.D. passieren, als Remo Park vor klassisch Avantgardistischem zum Hors d'Oeuvre gereicht wurde. Da war er Rock'n‘Roller wie sonst kaum vorher ein Deutschstämmiger es gewesen ist: diszipliniert und gleichsam verzückt, rasend verlebt und im gleichen Atemzug unermüdlich und völlig unmelancholisch aus Neue einpeitschend. Dann kam »Faith Healer« von Alex Harvey, ein Song der oberen Schweinerockklasse. Er könnte Remo Park & the Chasm zur Hymne geraten, wie für Prong der Chrome-Klassiker »Third From The Sun«. Dort ward Lärm zu Metal, hier Metal zu tanzbarem Lärmextrakt umgearbeitet. Da tut sich vielleicht tatsächlich etwas Bahnbrechendes — bit by bit. Harald Fricke
Um 21 Uhr im Klub JoJo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen