Religiöse Symbole sollen verschwinden: Gerichte bald fast neutral
In Niedersachsen sollen religiöse und weltanschauliche Symbole vor Gericht verbannt werden – nur das Kreuz an der Wand darf bleiben.
Ein entsprechender Gesetzesentwurf soll noch in diesem Jahr durchs Kabinett und danach in die Verbandsbeteiligung gehen, heißt es aus dem Justizministerium. Die Pläne werden von Muslim*innen und den Grünen im niedersächsischen Landtag kritisiert.
Es gehe darum, „eine Religion nicht so offensiv und offensichtlich in einen Gerichtssaal zu tragen, dass derjenige, über den geurteilt wird, auf die Idee kommen könnte, die Religion sei irgendeine Leit- oder Richtschnur für das entsprechende Urteil“, sagte Havliza dem NDR. Solche Symbole seien nicht mit dem Neutralitätsgebot vereinbar.
Anders sei das mit Kreuzen in Gerichtssälen, wie es sie in Niedersachsen noch in Cloppenburg und Vechta gibt. Das Recht werde „durch Menschen gesprochen und nicht durch Säle“, sagt Havliza. Wenn es die Beteiligten störe, würden die Kreuze abgehängt oder der Saal gewechselt, erläutert Ministeriumssprecher Christian Lauenstein.
In bayerischen Gerichtssälen ist seit dem 1. April 2018 das Tragen sichtbarer Kreuze, Kopftücher und Kippa, also religiöser oder weltanschaulich geprägter Kleidung, verboten.
In Hessen durfte eine Rechtsreferendarin islamischen Glaubens, die während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen wollte, keine anfallenden Tätigkeiten ausüben, bei denen sie von Bürger*innen als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnte.
Laut einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1973 können Kreuze, die in Gerichtssälen hängen, in Einzelfällen abgehängt werden oder es wird in einem neutralen Raum verhandelt, wenn sich jemand davon gestört fühlt.
In bayerischen Gerichtssälen ist seit dem 1. April 2018 das Tragen sichtbarer Kreuze, Kopftücher und Kippa, also religiöser oder weltanschaulich geprägter Kleidung, verboten.
In Hessen durfte eine Rechtsreferendarin islamischen Glaubens, die während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen wollte, keine anfallenden Tätigkeiten ausüben, bei denen sie von Bürger*innen als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnte.
Laut einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1973 können Kreuze, die in Gerichtssälen hängen, in Einzelfällen abgehängt werden oder es wird in einem neutralen Raum verhandelt, wenn sich jemand davon gestört fühlt.
Muslimische Frauen in Berufswahl eingeschränkt?
Recep Bilgen, der Vorsitzende des muslimischen Landesverbandes der Schura, zu dem in Niedersachsen 90 Moscheegemeinden gehören, kritisiert, dass durch das Gesetz insbesondere muslimische Frauen in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt würden. „Du kannst dich integrieren, jeden Beruf ergreifen, nur Richterin kannst du nicht werden.“ Das sei die Botschaft, die von dem Gesetzesentwurf ausgehe, sagt Bilgen. Muslimische Frauen fühlten sich so „nicht akzeptiert“.
Doch nicht nur ihnen, sondern auch Juden, die eine Kippa tragen wollten, unterstelle das Gesetz, „dass sie dann nicht neutral sein können“, sagt Bilgen. „Das ist eine Vorverurteilung der Staatsbediensteten.“ Deren Entscheidungen beruhten nicht auf einem Kleidungsstück, sondern auf dem Grundgesetz.
Laut Ministerium sind derzeit in Niedersachsen keine Fälle bekannt, in denen Staatsanwältinnen oder Richterinnen ein Kopftuch tragen wollen. Der Landtagsabgeordnete Helge Limburg von den Grünen hält den Vorstoß des Ministeriums deshalb für eine Scheindebatte. „Die sollte man gar nicht erst aufmachen“, sagt er.
Wenn sich Verfahrensbeteiligte gestört fühlten, könne man im Einzelfall nach Lösungen suchen und im Zweifel einen Befangenheitsantrag stellen. „Es gibt ja Mittel in unserer Rechtsordnung“, sagt Limburg.
Sollte das Gesetz aber kommen, hält es Limburg für wichtig, dass auch die Kreuze in den Sälen abgehängt werden. So hatte es Havliza auch ursprünglich angekündigt. „Wenn wir uns die Neutralität, die uns geboten ist, auferlegen, dann müssen wir das in Richtung aller Religionen tun, so schwer mir als gläubiger Katholikin das fällt“, hatte sie im Januar gesagt. „Ich kann nicht für mich etwas in Anspruch nehmen, was ich anderen verbiete.“
Weil vielen Menschen Symbole wichtig seien, könne man über Alternativen, wie ein Landeswappen im Gerichtssaal nachdenken, sagte Havliza damals. Sie sei aber nicht der Meinung, dass christliche Symbole weiter überall hängen sollten, während man das den Symbolen anderer Religionen untersage.
„Ich bin überzeugt, dass sie Druck von ihrer katholischen Parteibasis bekommen hat“, sagt Grünen-Politiker Limburg über die Kehrtwende der Ministerin. In einem anderen Punkt wurde das Verbot von Symbolen jedoch ausgeweitet: Während im Koalitionsvertrag von SPD und CDU noch stand, dass lediglich das Tragen von Kopftüchern für Richterinnen, Staatsanwältinnen und Referendarinnen verboten werden sollte, soll das Verbot nun für religiöse, weltanschauliche und politische Symbole gelten.
Auch Atomkraft-Nein-Danke-Sticker verboten
Der Entwurf sei so angelegt, dass es keine Ungleichbehandlungen gebe, sagt Ministeriumssprecher Lauenstein. Nun wären beispielsweise auch ein Atomkraft-Nein-danke-Sticker oder das Anarchie-A verboten.
„Eine Richterrobe mit Anarchie-A habe ich im Gericht noch nicht gesehen“, sagt Limburg dazu und feixt: „Dürfte ein Richter die Anti-Atomkraft-Sonne denn an die Wand im Gerichtssaal pinnen?“ Die Beispiele zeigten, wie absurd der Vorschlag sei. Die Ministerin klammere sich an Symbole.
Der Landtagsabgeordnete Stefan Birkner von der FDP-Fraktion findet es hingegen grundsätzlich richtig, „dass die Vertreter des Gerichts als Organe der Rechtspflege keine religiösen Symbole zeigen.“ Die Neutralität müsse gewährt sein. „Nicht ohne Grund tragen Prozessbeteiligte Roben.“
Auch die Präsidentin des hannoverschen Landeskirchenamtes, Stephanie Springer, hält die Robe für „ein besonders herausgehobenes Zeichen der staatlichen Neutralität“. Allerdings müsse das Verbot religiöser Symbole mit der individuellen Religionsfreiheit in Abwägung gebracht werden, meint Springer, die Richterin am Oberlandesgericht in Celle war. Deshalb müssten diskrete Zeichen wie ein kleines Kreuz, ein Davidstern oder das Zeichen einer anderen Religion an einer Kette erlaubt bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste