: Reisefieber! Von Carola Rönneburg
Reisende sind Routiniers: Am Abend vor der Abfahrt packen sie zwischendurch ihren Koffer. Wie von einer fremden Macht ferngesteuert, verstauen sie alles, was sie in den nächsten Tagen oder Wochen benötigen werden, in der richtigen Reihenfolge und amüsieren sich dabei mit einer Integralrechenaufgabe.
Andere bereiten schon zwei Tage vor Reisebeginn ihre ordentlich gefaltete Kleidung sowie den Badezimmerbestand auf dem Bett aus, haken eine Checkliste ab, packen dann innerhalb von einer Minute und sitzen von hier an abmarschbereit auf ihrem Gepäck. Zwar müssen sie nun noch mehrfach nach der Zahnbürste kramen – aber lieber tasten sie sich vorsichtig unter dem Gebügelten durch, als ohne Zahnbürste in die Fremde aufzubrechen, wo es dergleichen ja bekanntlich nicht gibt.
Die dritte mir bekannte Kofferpackerspezies besitzt überhaupt keinen Koffer, sondern reist mit einmal Unterwäsche in der Plastiktüte. Alles andere wird vor Ort erstanden. So weltläufig das klingt, weiß ich doch, daß die Minimalisten nur Konsequenzen aus leidvollen Erfahrungen ziehen: Meist flogen sie nach Rom, ihr Gepäck aber nach Athen.
Dann gibt es natürlich noch meine Packklasse, die weder planvoll noch in Ruhe vorgeht, sondern so: Am Abend beschließe ich, daß morgens auch noch Zeit sei, ein paar Sachen zusammenzusuchen. Nach kurzem Schlaf stehe ich dann vor dem Kleiderregal, einen Becher Kaffee in der Hand und überlege, welche Temperaturen mich erwarten. Nach Sonnenuntergang kann es kühler werden (Strickjacke), nachts sogar bestimmt (Schlafanzug. Zur Sicherheit warme Socken? Ja. Socken.) Ein Meer gibt es aber auch (Badeanzug), und um die Mittagszeit wird es vermutlich noch heiß sein (zwei Kleider – nein, drei). Außerdem sind Ausflüge (Hemden! Wenn es heiß wird, trägt man auch Hemden!) in die nähere Umgebung oder gar Wildnis (Jeans, festes Schuhwerk) nicht auszuschließen. Dann noch Wäsche, Strümpfe, Socken unterbringen – das ist es doch schon.
Ist es nicht. Wer Kleider tragen will, soll die passenden Schuhe nicht vergessen. Da sind sie, aber nun drängt die Zeit. Schneller! Was muß noch mit? Nachdenken! Socken? Die vergesse ich oft. Sind aber da, vollzählig. Noch einen Kaffee trinken, Zigarette rauchen, ruhig bleiben, ganz ruhig. – Was war jetzt gleich schon in der Tasche? Ah ja. Nun zum Handgepäck. Das ist einfach: Ins Handgepäck gehört alles, was nicht nach Athen soll. Ente, Frosch, Kassettenabspielgerät, Schreibzeug, Schuhlöffel, Adressen, Lektüre, Kosmetik I, Taschenmesser, Stadtplan.
Die Reißverschlüsse sind zu, ich liege gut in der Zeit. Zu gut – hier stimmt etwas nicht. Noch einmal wild durch die Wohnung hühnern, herausfinden, was ich schon in wenigen Stunden vermissen werde. Wie üblich die Socken!
Quatsch. Aber vielleicht... jawohl: die Zahnbürste und alles, was zu Kosmetik II gehört. Reißverschluß wieder aufziehen, mit etwas Gewalt kann der Rest auch noch Platz finden. Habe ich jetzt alles? Gürtel? Fast wäre ich ohne Gürtel gereist! Eine weitere hektische Inspektion der Räume: Irgend etwas – bloß was? – fehlt bestimmt noch.
Es ist herrlich.
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