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Reinigende Raserei mit Kettensägen

Wider den Triumph des Willens zur Komödie: Christoph Schlingensief rast als großes Kind mit weit aufgerissenen Augen durchs Filmwunderland, bricht jedes Tabu mehrfach, sticht den Dolch und landet für 120 Tage in Bottrop. Denn Sodom ist überall  ■ Von Andreas Becker

Ihr habt es nicht anders gewollt. Und er mußte es tun – für euch, für uns, für Deutschland. Der „letzte Neue Deutsche Film“ kommt von – Tusch, tschingderassabum, Heil Riefenstahl, es lebe R.W. Fassbinder –: Christoph Schlingensief. Volksbühnen-Christoph, neuerdings auch „Talkstar“, ist der selbsternannte und sowieso legitime Terminator des Deutschfilms. Sein Auftrag: Von deutschem Boden darf nie wieder Film ausgehen.

Denn alle sind korrupt, erfolgsgeil, wollen nach Hollywood, und wenn's dazu nicht reicht, schütteln sie bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises die Hand von Faschodarsteller Kanther, als sei er Bill Clinton. Schlingensief dagegen muß seine Hand in die Speichen dieses Getriebes stecken, und siehe da: Er bricht sich nicht die Finger, er bringt den Irrsinn durch Irrsinn zu Fall. Und so beginnen seine „120 Tage von Bottrop“ mit einem Kettensägenmassaker. Die Untoten dieser reinigenden Raserei, Katja Riemann und Götz George, sehen wir mit Bambi- Blick beim Kanther-Filmpreis. George ballt die Faust, denn hier ist jemand, der hat es trotz aller Medienmiesmacher nach ganz oben geschafft, und das, obwohl wir uns in Deutschland ja nicht mal Stars leisten. The winner is: Sönke Buckmann. Mit zitternder Hitlerstimme schmettert der seine Dankrede: „Vor Jahren habt ihr mich noch als Behinderten abgestempelt, und jetzt habe ich den erfolgreichsten deutschen Film gedreht.“ Schlingensief over the top und mittendrin: Der Buckmann-Darsteller ist wirklich behindert. Schlingensief weiß, daß man sich lächerlich macht, wenn man Tabus bricht, aber erst recht, wenn man es nicht tut. Also bricht er sie im Übereifer immer doppelt und dreifach. So spielt der kleinwüchsige, tapsige Mario Garzaner den Regisseur, der nicht nur wegen seiner nietenbesetzten Lederjacke aussieht wie Fassbinder, in „Wirklichkeit“ aber Sönke Buckmann ist.

Christoph S. rast als großes Kind mit weit aufgerissenen Augen durch sein Filmzauberland, und draußen sieht er überall den blanken Horror: Apothekerinnen, Heike-Makatsch-Gesänge und ohne deutsche Spezialeffekte und Regisseure nicht mögliche Independence-Tage. Er zieht lustvoll in eine Schlacht, um deren Ungewinnbarkeit er immer schon wußte – und gerade das macht ihn so richtig geil. Schlingensief, geboren Anfang der sechziger Jahre, wuchs auf in dem grausigen Dilemma seiner Generation: zum 68er zu jung, zum Punk zu alt und zu vernünftig zu sein. Bei deutschen Kinofilmen hatte er die Auswahl zwischen Reportagen über Schulmädchen, die in tristen Nonstop-Bahnhofskinos gezeigt wurden, und richtig fies realistischen Autorenfilmen im Kommunalkino. Anschließend: Diskussion mit Manifest.

Überall war Oberhausen, nirgends Bottrop. Aber jetzt schlägt das Imperium Christoph S. zurück: Rache für Oberhausen, Rache für alle Erfolgsdummbeutel, die jetzt auch noch reich werden, obwohl sie ständig nur beweisen wollen, wie toll erwachsen sie doch sind. Berlin ist Sodom, ist Bottrop, aber wo ist Helmut Berger? Produzent Volker Spengler hat „so viele Bilder im Kopf“, daß er Kopfschmerzen bekommt. Dauernd telefoniert er mit einem Handytypen in Amerika, der ihm endlich H. Berger herbringen soll. Dieser Hollywood-Agent, der Udo Kier und Roland Emmerich nervt, ist Christoph S. himself. Zur gleichen Zeit in Berlin laufen längst die Dreharbeiten. Die 120 Tage haben keinen Anfang und kein Ende. Wenn der Vorspann aufhört, beginnt längst schon der Abspann. Fassbinders Margit Carstensen bekommt einen Mops geschenkt, denn: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Die „120 Tage von Bottrop“ sind nicht nur ein Film-im-Film- im-Film-Konstrukt – das müssen sie als ironisch nichtironische Reminiszenz an den Deutschfilm eh sein –, sie vereinen schlicht alle Filme in einem. Ein kleiner Schritt für Christoph, ein großer für uns. Letzte Ausfahrt Bottrop. So kreischt seine aufgescheuchte Schauspielerschar, die vergangenen November bei den Dreharbeiten nackt durch den Garten des Berliner Praters gescheucht wurde (an der Pasolini-Peitsche Sophie Rois), wie ein kollektiv regredierendes Kleinkinder-Ensemble.

„Sodom“ steht wie ein Sponsorenname auf den Helmen der Schauspieler, die auf „Europas größter Baustelle“, dem Potsdamer Platz, einen Film zu drehen haben. Sie toben durch Baugruben, und oben auf dem Dach des Weinhauses Huth, mitten im Krangetümmel, will einer von Bord: Martin Wuttcke als Jesus mit Dornenkranz, als Schlingensief, will springen. Über allem schwebt der Daimler-Vorstand mit Riefenstahl an Bord im Hubschrauber. Katharsis as usual.

Für Schlingensief waren die Dreharbeiten – wegen Geldmangels mußte alles in einer Woche durchgezogen werden – der reine Spaß. Ein Drehbuch gab's nur als grobe Spielanleitung. Schlingensief über seine Truppe: „Ich liebe die Fassbinder-Schauspieler sehr, weil die sehr snobistisch, zynisch und in Anführungsstrichen extravagant waren. Das finde ich besser als die jungen Schauspieler heute, die eigentlich zu Kleiderständern von Hennes & Mauritz geworden sind.“

Für S. ist der letzte Film längst abgefahren, der erste Film aber überhaupt noch nicht gedreht: „Fassbinder hat die Genres noch mal auf Tauglichkeit abgeklopft. Manchmal denk' ich, das muß 'ne ganz traurige Szene werden, und schon wenn sie anfängt, glaub' ich ja gar nicht mehr dran. Eigentlich glaube ich auch nicht mehr an Kino oder an Film.“

Deconstructing Riefenstahl & Fassbinder: Die deutsche Krankheit Film, der Triumph des Willens zur Komödie, all das muß totgemacht werden. Einer mußte diesen schmutzigen Job erledigen. Er hat es für uns getan.

„Die 120 Tage von Bottrop“. Regie: Christoph Schlingensief. Kamera: Renée Gundelach. Mit Margit Carstensen, Irm Herrmann, Volker Spengler u.a.

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