Regisseur über sein Stück zum Krieg: „Maul aufmachen! Nicht schweigen!“

Regisseur Lukasz Lawicki reiste in die Ukraine und schrieb dann das Stück „14 Tage Krieg“. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Angst und Waffen.

Eine Person sitzt auf einer Bühne und betrachtet eine Leinwand, auf der einen Frau zu sehen ist.

Szene aus dem Stück „14 Tage Krieg“: Statt um die Ästhetisierung des Krieges geht es um den Dialog Foto: Stephan Walzl / Staatstheater Oldenburg

taz: Ästhetisieren Sie mit Ihrem Theaterstück „14 Tage Krieg – eine Momentaufnahme“ den Ukraine-Krieg, Herr Lawicki?

Lukasz Lawicki: Nein, das passiert in den Medien! Wir sehen jeden Tag zerbombte Häuser, bekommen eine Schreckensnachricht nach der anderen und Informationen über militärische Fortschritte. Wir reden aber nicht über die Menschen, die direkt betroffen sind. 2014 ging es auf der Krim los, dann wurde es Normalität und wir haben es alle vergessen – obwohl der Krieg nie aufgehört hat. Die Ästhetisierung des Krieges liegt mir fern, aber einen künstlerischen Umgang damit schließe ich nicht aus.

Warum wollten Sie jetzt dieses Stück machen, das gerade bei der Sparte 7 im Staatstheater Oldenburg zu sehen ist?

Die Idee entstand aus einem Gefühl der Machtlosigkeit. Als es 2022 in der Ukraine erneut losging, hab ich gespendet – hatte aber auch das Gefühl, das reicht nicht! Da war schnell klar: Ich muss in die Ukraine fahren und mit Menschen sprechen, ihre Stimmen für uns hörbar machen. Für mich ist das die Konsequenz aus einer kapitalistischen Sichtweise, die wir als normal akzeptiert haben: Wir nutzen den globalen Handel, aber wir sehen nicht, was wir damit im Einzelnen anrichten, beispielsweise in Militärdiktaturen oder scheinheiligen Demokratien.

Welche Bilder wollen Sie denen entgegensetzen, denen wir täglich ausgesetzt sind?

14 Tage Krieg – eine Momentaufnahme, von Lukas Lawicki, Staatstheater Oldenburg, Technical Ballroom in der Exhalle Wieder am 14. 2., 20 Uhr

Die Bilder der Menschen und die Menschlichkeit! Ich habe den Interviews, die ich geführt habe, viel Zeit und Raum gegeben: Wie hat sich das Leben, der Alltag drei Monate nach Ausbruch des Krieges verändert? Mein Text basiert auf meinen Erfahrungen und den Gesprächen mit den Menschen, die dort leben. Ich will ihnen ein Gesicht geben, ihre Namen nennen. Wir müssen aufhören, sie als eine graue Kriegsmasse zu begreifen. Ich habe mich bewusst entschieden, so wenig wie möglich von der Zerstörung zu zeigen und setze auf die persönlichen Geschichten meiner Protagonist:innen.

Wie haben Sie diese Menschen kennengelernt?

Das war kompliziert: Zwei Wochen vor meiner Abreise hatte ich noch keine Kontakte. Dann erfuhr ich aus den Medien von Oleksii Palianychka, einem ukrainischen Theatermacher – aus diesem Kontakt entstanden am Ende alle weiteren Verbindungen. Ich habe in L’viv vor allem mit Theaterschaffenden gesprochen, in Kyiv mit der Schauspielerin Marichka S., in Irpin mit Yuna D., einer Englischlehrerin, dazu mit Menschen, die aus Luhansk geflohen sind, zum Beispiel Anja K., einer Psychologin, die mit ihren kleinen Kindern mehrere Monate im Luftschutzbunker saß.

38, Regisseur und technisch-künstlerischer Mitarbeiter des Technical Ballroom am Staatstheater Oldenburg.

Wie nahe waren Sie an der Front?

Ich hatte vor Ort das Gefühl, dass ich näher ran müsste – war aber mindestens 500 Kilometer von den Kampfhandlungen entfernt. Um das zu erzählen, was ich erzählen wollte, musste ich aber nicht an die Front.

Wie haben Sie den Alltag in der Ukraine erlebt?

Sehr unterschiedlich. Teilweise können die Menschen nur von heute auf morgen planen. Viele von ihnen wollten sich nicht mehr verstecken und waren es müde, in den Luftschutzkeller zu gehen. Wieder andere sind traumatisiert, zerrissen, resignieren. In Irpin, wo es zu starken Kampfhandlungen gekommen war, haben die Menschen aufgeräumt und sind in Häuser, die nur zur Hälfte zerbombt waren, wieder eingezogen. Viele sagten: Wir wissen genau, wie es Flüchtlingen in Westeuropa ergeht – und wollten das Land nicht verlassen.

Ist in Zeiten des Krieges auch noch Platz fürs Theater?

Nach der Invasion ist zunächst an vielen Orten das Theaterleben eingestellt worden und die Theater wurden zu Schutzräumen, Lagern oder Unterkünften umfunktioniert. Danach haben sie aber wieder begonnen, den Spielbetrieb aufzunehmen. Die Menschen verarbeiten ihr eigenes Leben, das Hier und Jetzt auf der Bühne. Das hat eine ganz andere Qualität auch als dokumentarisches Theater: Es bekommt eine therapeutische Funktion. Oleksii Palianychka sagte mir: Kinder brauchen die Illusion der Normalität und des Alltags.

Hatten Sie Angst?

Zunächst nicht. Als ich das erste Mal einen Luftalarm mitbekommen habe, war ich aber schon sehr aufgeregt. Das hat sich gelegt – ich wollte mit den Ukrainern möglichst angstfrei durch die gemeinsame Zeit kommen. Als ich wieder in Deutschland war, kam aber die Angst: Leben die Menschen noch, die ich kennengelernt habe? Wessen Haus wurde getroffen? Ich bekomme gerade Fotos aus der Stadt Soledar, die im Osten, am Frontverlauf liegt – mit Bildern zerstörten Straßen und Häusern.

Wie entstand aus all diesen Eindrücken und Gesprächen ein ­Theaterstück?

Ich habe mehrere Textfassungen gemacht. Ich wollte die Geschichten der Menschen nach Deutschland tragen, respektvoll sein, aber auch den Schrecken des Krieges auf der Bühne zeigen, ohne vulgär zu sein. Zuerst habe ich versucht, mich sachlich zu nähern, aber das ist mir nicht gelungen. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Deswegen habe ich am Ende entschieden, einen emotionalen Zugang zu suchen.

Hierzulande wird die Frage der Waffenlieferungen stark diskutiert. Denken Sie da heute anders als vor der Reise?

Ja! Ich habe in zwei Ländern den Militärdienst aus voller Überzeugung verweigert – in Polen und in Deutschland. Waffenlieferungen waren ein No-Go für mich. Als ich jetzt gesehen habe, was in der Ukraine passiert ist, welche Auswirkungen der Krieg hat, habe ich meine Meinung geändert. Ich finde, dass wir den Menschen dort eine Selbstverteidigung ermöglichen müssen. Wir sind verpflichtet, Menschen, die einen demokratischen Rechtsstaat anstreben, dabei zu unterstützen. Ein Gesprächspartner sagte mir: Wenn unser Militär versagt, dann brauchen eure humanitären Organisationen nur noch Leichensäcke zu liefern. Dann gibt es nichts mehr, wofür man spenden kann. Der Dialog ist unfassbar wichtig, aber gerade ist kein echter Dialog möglich. Es fehlt der politische Druck dafür. Eines habe ich auf der Reise gelernt: Maul aufmachen! Nicht schweigen!

Wie haben die Zu­schaue­r:in­nen in Oldenburg reagiert?

Das Stück hört nicht auf, wenn der letzte Text gesagt ist, es gibt immer ein Nachgespräch, zum Teil sind die ukrainischen Prot­ago­nis­t:in­nen dabei oder zugeschaltet. Die Resonanz ist gut. Wenn im Saal 130 Leute sitzen und nur drei von ihnen gehen gleich, ist das sehr gut. Das ist mir wichtig: dass die Leute hier mit den Menschen in der ­Ukraine sprechen.

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