Regierungskrise in Italien: Berlusconi in der Abwärtsspirale
Berlusconis Koalitionspartner, die Lega Nord, verweigert Sparmaßnahmen. Jetzt muss Italiens Ministerpräsident ums politische Überleben kämpfen.
ROM rtr | Kurz vor dem EU-Krisengipfel ringt Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Streit über Reformen in dem klammen Land um sein politisches Überleben. Nach Ansicht seines Koalitionspartners droht das Mitte-rechts-Bündnis in Rom zu zerbrechen. "Die Regierung ist in Gefahr", warnte Lega-Nord-Chef Umberto Bossi am Dienstag. Die Regierungskrise kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, da Berlusconi auf dem Gipfel am Mittwoch mit neuen Reformzusagen das Vertrauen der Anleger in die Währungsunion stärken sollte.
Doch ein Streit um ein höheres Renteneintrittsalter droht die Koalition in Rom zu spalten. Die Lage sei schwierig und sehr gefährlich, so Bossi: "Dies ist ein dramatischer Augenblick." Der Regierungspartner Berlusconis lehnte zugleich die Idee einer von Technokraten gebildeten Übergangsregierung ab und brachte Neuwahlen ins Gespräch.
Italiens hoher Schuldenstand von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gilt als Achillesferse der Eurozone. Skeptiker befürchten, dass das Land den gesamten Währungsraum in Gefahr bringen könnte, sollte die Regierung das Vertrauen der Finanzmärkte nicht zurückgewinnen.
Berlusconi ist jedoch durch zahlreiche Sex- und Korruptionsaffären geschwächt. Der Regierungschef hat bereits mehrere Vertrauensabstimmungen im Parlament nur mit Hilfe der Stimmen der Lega Nord überstanden.
Doch die Uneinigkeit in der Koalition lässt zunehmend Zweifel daran aufkommen, ob das Regierungsbündnis bis zum Ende der Amtszeit 2013 hält. In der Parteizeitung der Lega, "Padania", wurden bereits martialische Parallelen zum Zweiten Weltkrieg bemüht, um Kampfbereitschaft im Rentenstreit zu demonstrieren: "Heute ist D-Day. Nein zu einer Erhöhung des Pensionsalters. Die Lega wird keinen Schritt zurückweichen."
Laut Infrastrukturminister Altero Matteoli von Berlusconis Partei "Popolo della Liberta" war zunächst keine weitere Kabinettssitzung geplant. Er hielt dennoch die Hoffnung am Leben, dass der Regierungschef auf dem EU-Gipfel Reformvorschläge präsentieren könne. "Falls es eine Übereinkunft gibt, kann der Ministerpräsident sie Europa vorlegen. Die formellen Beschlüsse können wir später fassen."
Noch wartet Brüssel
Finanzminister Giulio Tremonti will bis 2013 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, doch an durchgreifenden Strukturreformen für die maue Wirtschaft - etwa am Arbeitsmarkt oder durch Privatisierungen - hapert es noch. Die EU-Kommission forderte von Italien unterdessen Details zu seinen Reformplänen.
"Wir warten darauf, was Italien auf den Tisch legen wird", sagte der Sprecher von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel. Bisher sei im Detail noch nicht bekannt, wie Italien das Wachstum über Reformen stärken wolle. Beim Druck auf Italien gehe es aber nicht darum, die Souveränität des Landes in Frage zu stellen oder die Regierung lächerlich zu machen, ergänzte der Sprecher.
Berlusconi mag keine Ratschläge
Berlusconi hatte sich zuvor in der Schuldenkrise gegen Druck aus Paris und Berlin zur Wehr gesetzt. Kein Land in der Europäischen Union könne sich zum Lehrmeister aufschwingen und anderen Ländern Lektionen erteilen, erklärte der Regierungschef.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy hatten Berlusconi beim jüngsten EU-Gipfel am Sonntag zu Reformen gedrängt. In italienischen Medien war dies als Erniedrigung für den 75-Jährigen gewertet worden. Zuletzt schaltete sich auch Italiens Präsident Giorgio Napolitano in die Debatte ein. Er verlangte von Berlusconi glaubwürdige Vorschläge zum Abbau der hohen Staatsschulden und zur Förderung des Wachstums.
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