Regierungskonsulationen in Berlin: Keine Besserung der deutsch-polnischen Beziehungen in Sicht
In Berlin kamen die Minister Polens und Deutschlands zu Beratungen zusammen. Die Geschichte überschattet die Konsulationen einmal mehr.
„Unsere Agenda ist auf die Zukunft ausgerichtet, ohne dass dabei aber die Vergangenheit zu kurz kommen soll“, fasst Bundeskanzler Friedrich Merz am Montagnachmittag sein Treffen mit Polens Premier Donald Tusk zusammen. Die gemeinsame Sicherheit, insbesondere angesichts des russischen Krieges in der Ukraine, und der Ausbau der gemeinsamen Infrastruktur seien wichtige Themen bei den Regierungskonsultationen gewesen, aber auch die Rückgabe von 73 polnischen Artefakten aus dem 13. bis 15. Jahrhundert sowie einer Heiligenbüste.
„Natürlich arbeiten wir eng zusammen“, sagt Tusk. „Selbst wenn wir unterschiedliche Interessen haben, finden wir oft einen gemeinsamen Weg – grade bei Themen wie Sicherheit und Infrastruktur.“ Und dann fügt er hinzu: „Nur beim Thema Vergangenheit können wir uns nicht einigen. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass Polen keine Kriegsreparationen bekommen hat.“
Tusk hat einige seiner wichtigsten Minister und Berater mitgebracht, doch einer fehlte: Krzysztof Ruchniewicz, Historiker und einer der namhaftesten Experten, wenn es um die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, der deutschen Besatzung Polens von 1939 bis 1945 und die Nachkriegsgeschichte mit deutschen Reparationsleistungen und Entschädigungen an polnische NS-Opfer geht. Ruchniewicz wurde wenige Wochen vor diesem Treffen in Berlin als Koordinator der deutsch-polnischen Beziehungen entlassen.
Doch nicht nur das: zur großen Überraschung der deutschen Regierung verkündete der polnische Außenminister Radosław Sikorski, dass er mit der Entlassung von Ruchniewicz zugleich die Stelle des Koordinators ganz abgeschafft habe. Seitdem steht Knut Abraham, der deutsche Koordinator, ohne einen Partner auf polnischer Seite da.
Polens Premier Donald Tusk
Und es gibt noch eine weitere geschichtspolitische Episode, die ihren Schatten über die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen warf. Am 25. November hatte der renommierte deutsch-polnische Holocaust-Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe in der Berliner Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ einen Vortrag über sein Buch „Polnische Bürgermeister und der Holocaust. Besatzung, Verwaltung und Kollaboration“ halten sollen. Doch dann sagte die „Topographie des Terrors“ den Vortrag kurzfristig ab. Rossoliński-Liebe erhebt den Vorwurf, dies sei auf Betreiben des polnischen Botschafters geschehen.
Die deutschen und polnischen Minister wollten in Berlin über das sogenannte Deutsch-Polnische Haus diskutieren, ein schon lange geplanter Erinnerungs- und Dokumentationsort für die Verbrechen der Deutschen in Polen während des Zweiten Weltkriegs. Da, so die Vermutung Rossoliński-Liebes, sei der polnischen Regierung eine Debatte über die NS-Kollaboration einiger polnischer Bürgermeister in der Kriegszeit mehr als ungelegen gekommen.
Ohnehin sind die deutsch-polnischen Beziehungen derzeit so schlecht wie lange nicht. Das hat viel mit der Geschichte und ihrer jahrelangen Instrumentalisierung durch die rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu tun. Deren Parteichef Jarosław Kaczyński wird nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die Deutschen zu hetzen.
Die PiS-Propaganda von angeblich nicht geleisteten Reparationen Deutschlands für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und von nicht ausgezahlten Entschädigungen für polnische NS-Opfer ist auf fruchtbaren Boden gefallen. Allerdings hat der polnische Staat die zweithöchsten Reparationen nach der UdSSR bekommen und die polnischen NS-Opfer die zweithöchsten Entschädigungssummen nach den jüdischen Opfern in Israel. Dennoch erwarten viele Polen von ihrer Regierung, dass diese bei den Deutschen die Rechnung für den Zweiten Weltkrieg eintreibt – in Form von Reparationen und Entschädigungen.
Da auch die aktuelle Tusk-Regierung keine Anstalten macht, dagegen anzugehen und sogar noch in die Propaganda-Fußstapfen der PiS steigt, ist eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
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