: Regelmäßige Ordnung von Schnitten
■ Körperperformance auf Kampnagel: Die irische Künstlerin Kira O'Reilly zeigte Fleisch und Verletzungen der Epidermis in „Succour/ed“
Ein Triptychon. Körperansichten, fotografiert aus nächster Nähe. In der Mitte zwei Unterschenkel. Links ein Bauchnabel. Rechts zwei Brüste. Markiert sind die Körperausschnitte mit roten, diagonal geführten Strichen, gezeichnet in regelmäßiger Ordnung von Zeilen und Spalten. Beim genauen Hinsehen erkennt man, dass diese Linien in die Haut geritzt sind. Auf nackter weißer Wand hängt dieses minimalistische Kunstwerk etwas verloren im Ausstellungsraum k3 auf Kampnagel, zur Einstimmung auf eine Performance, die einmalig im Rahmen der Themenreihe „Zeig mit Dein Fleisch!“ stattfand.
Succour/ed („beistehend“) hat die irische Live Art-Künstlerin Kira O'Reilly ihr intimes, irritierendes Schauspiel genannt, das den Zuschauern nicht minder unter die Haut ging. Drei silberne Tabletts, wieder das Triptychon, stehen ackurat aufgereiht vor dem mit weißen Badelaken drapierten Stuhl. In sicherem Abstand gruppiert sich das Publikum im Halbrund. Kira O'Reilly kommt nackt herein, setzt sich auf den Stuhl, die bloßen Füße auf den kalten, grauen Steinboden gestellt.
Der gesamte Raum strahlt aseptisch weiß in hellem Licht. O'Reilly nimmt eine Klebebandrolle vom rechten Tablett und beginnt ihren linken Unterschenkel zu bekleben: einen Streifen entlang des Schienbeines, den nächsten daneben, dann um die Wade herum, bis dieser Körperteil in regelmäßige Quadrate unterteilt ist. Vom mittleren Tablett nimmt sie ein Skalpell, wi-ckelt es aus der sterilen Verpackung und beginnt die Haut zu ritzen. Kästchen für Kästchen, Zeile für Zeile.
Anfangs sind die eingeschriebenen Zeichen noch nicht sichtbar, färben sich bald jedoch rot. Tropfen bilden sich. Einige bleiben hängen, trocknen an, andere laufen in feinen Rinnsalen über den Rand der Kästchen und fallen zu Boden. So nüchtern und systematisch wie O'Reilly dieser Handlung nachgeht, braucht es eine Weile bis man realisiert, dass echtes Blut fließt.
Keinmal blickt die Künstlerin auf, kaum nimmt man in der Stille ihr Atmen wahr. Eine Stunde dauert es, bis sie nacheinander die Unter- und Oberschenkel, den Bauch und schließlich die Brust in gleicher Weise gezeichnet hat. Sie steht auf, reißt das Klebeband ab, nimmt eines der in Alkohol getränkten Tücher vom linken Tablett, wäscht ihren nun von oben bis unten stigmatisierten Körper. Das Blut will sich nur schwer entfernen lassen. Sie geht ab. Zurück bleibt ein Haufen blutiger Klebebandfetzen und Tücher. Und sichtlich benommene Zuschauer.
Es sei ihr zuwenig, den Körper in ihrer Kunst nur als Zeichen einzusetzen, antwortet sie bescheiden und freundlich lächelnd später im Foyer auf die Fragen des Publikums. „Ich will, dass etwas von innen nach außen dringt.“ Nicht mehr und nicht weniger. Marga Wolff
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