piwik no script img

Reformoffensive auf den Philippinen

■ Gestern begann die zweite Phase der Verhandlungen mit der Guerilla / Aus Manila Nina Boschmann

Wenn Graffitis den Zeitgeist widerspiegeln, dann ist auf den Philippinen Versöhnung das Gebot der Stunde: Während noch vor Jahresfrist die zahlreichen Willkommensgrüße an die linke NPA– Guerilla und die anderen Untergrundorganisationen ins Auge stachen, haben seit einigen Wochen die Friedenstauben deutlich aufgeholt. „Give peace a chance“ steht heute allerorten an den Gemäuern. Noch vor zwei Monaten stand Aquinos politisches Überleben auf der Kippe, politische Morde häuften sich, doch heute wagen es allein der geschaßte Verteidigungsminister Enrile und einige verkalkte Marcosanhänger, sich öffentlich gegen eine Verhandlungslösung mit den Rebellen auszusprechen. Und der am 10. Dezember in Kraft getretene Waffenstillstand zwischen den Regierungstruppen und der NPA wird - allen Unkenrufen zum Trotz - in weiten Teilen des Landes eingehalten. Das politische Klima ist so offen wie nie zuvor in den vergangenen 20 Jahren. Jubelnde Städter begrüßten bei diversen Kundgebungen im Dezember Guerillakämpfer, die zu Besuch von den Bergen heruntergekommen waren, das Militär schritt nicht ein. Vertreter der politischen Organisation der Guerilla (NDF) haben sich in den Städten Büros eingerichtet, werden zu Parties und Talk–Shows eingeladen und das Fernsehen berichtet über Untergrundpressekonferenzen auf dem Lande mit der gleichen Ausführlichkeit wie einst über Imelda Marcos Extravaganzen. NDF fordert Grundkonsens Doch bei näherem Hinsehen erscheint die große Freiheit eher als Illusion, die schon bald wie eine Seifenblase zerplatzen könnte. 30 der vereinbarten 60 Tage Waffenstillstand sind bereits vergangen, ohne daß sich Guerilla und Regierung auch nur auf eine Tagesordnung für die Verhandlungen oder die genaue Zusammensetzung der Delegation verständigt hätten. Zu unterschiedlich sind - allen vertrauensbildenden Maßnahmen zum Trotz - die Sichtweisen des Untergrundes und der neuen reformistischen Administration. Am brisantesten sind die unter schiedlichen Ansätze für den „dauerhaften Frieden“, der verbal von beiden Seiten angestrebt wird. Die Regierung versucht, die Gespräche auf eine pragmatische Ebene zu bringen, in dem sie eine vorläufige Beschränkung auf die Punkte „Landreform“ und „Industrialisierung“ vorschlägt, die von beiden Seiten als Kernpunkte für eine Steigerung des Lebensstandards der breiten Massen betrachtet werden (siehe Dokumentation). Ein solches Vorgehen ist für die Aquino–Administration mit minimalen Risiken verbunden, da Detailregelungen ohnehin von dem im Mai neuzuwählenden Parlament bestimmt werden müssen und der vorliegende Verfassungsentwurf dazu nur allgemeine Goodwill–Phrasen enthält. Daneben sollen ehemalige Guerillakämpfer großzügige Wiedereingliederungshilfen erhalten und die Chance, im Rahmen begrenzter Siedlungsprogramme ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprechend zu leben. Die NDF ihrerseits befürchtet - vermutlich zu recht - damit in eine typisch sozialdemokratische Stückwerktechnik eingebunden zu werden, bei der letztendlich nicht mehr herauskommt als ein paar Bonbons für die Übergabe der Waffen. Sie will daher zuerst über die Gesellschaftsanalyse sprechen. Eine Übereinstimmung in den zentralen Punkten (die NDF betrachtet die Philippinen als halbfeudal, halbkolonial und vom US–Imperialismus dominiert) würde, - so Rebellenführer Satur Ocampo - quasi automatisch eine andere Regierung und auch eine andere Verfassung hervorbringen. Eine Idee, die vom Regierungslager als zutiefst antidemokratisch betrachtet wird. Nach dem Wahlboykottdesaster im vergangenen Jahr kann die NDF es sich aber nicht leisten, auf Maximalforderungen zu bestehen und so betonen alle Führer unisono, daß man die Gespräche intensiv führen muß um alle denkbaren Möglichkeiten auszuloten, bevor Entscheidungen getroffen werden. Wackliger Waffenstillstand Die nächste Kraftprobe steht spätestens Anfang Februar an, wenn der Waffenstillstand nach der Abstimmung über die neue Verfassung ausläuft und verlängert werden muß, weil die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind. Das mit der Überwachung der Waffenruhe beauftragte Komitee unter Leitung des katholischen Bischofs Fortich, ist bereits heute mit Berichten über vermeintliche oder tatsächliche Verstöße überschwemmt, hat sich aber noch nicht endgültig festgelegt, was ein Verstoß ist. Verletzt zum Beispiel die Guerilla den Waffenstillstand, wenn sie in voller Montur durch eine ländliche Kleinstadt zieht, es aber nicht zu Zwischenfällen kommt? Oder was ist davon zu halten, wenn das Militär Nahrungsmittellieferungen in bestimmte Dörfer blockiert? Sowohl die NDF als auch das Militär sammeln derartige Fakten in ihrem Sinne und Militärsprecher haben bereits eisernen Widerstand gegen jedwede Verlängerung der Waffenruhe angekündigt, die ihrer Ansicht nach nur die Position der Guerilla stärkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen