: „Reformieren statt amputieren“
■ Hochschulblockaden in Leipzig und Berlin/ Minister beharrt auf Schließung/ Sechs Hungerstreikende in Leipzig/ Gewerkschaft Wissenschaft will Instanzenzug bis zum Bundesverfassungsgericht
Berlin/Leipzig (ap) — Am Donnerstag blockierten Tausende Studenten in Leipzig und Berlin erneut die Zugänge zu den Universitäten, um ihren Forderungen nach mehr Mitsprache Nachdruck zu verleihen. In Leipzig traten sechs Studenten in einen unbefristeten Hungerstreik. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich inzwischen voll auf die Seite der Demonstranten gestellt und juristische Unterstützung zugesagt.
In Leipzig blockierten aufgebrachte Studenten weiterhin die Eingänge zur Karl-Marx-Universität und hielten das Rektorat besetzt. Eine Diskussion mit dem sächsischen Bildungsminister Hans Joachim Meyer hatte nicht das von ihnen erhoffte Ergebnis gebracht. Der CDU-Politiker hielt an dem Regierungsbeschluß fest, mehrere ideologisch belastete Sektionen der Universität Leipzig aufzulösen und neu zu gründen.
In einem Streitgespräch mit Hochschülern sagte Meyer am Mittwoch abend, bei der Schaffung der neuen Fachbereiche würden die Konzepte der Sektionsleitungen berücksichtigt. „Alle Studenten können ihr Studium zu Ende führen“, versicherte er. Die Studenten verlangen dagegen die völlige Aufhebung des „Abwicklungsbeschlusses“.
Die betroffenen Hochschullehrer könnten Zeitverträge abschließen und so das Wintersemester beenden, sagte der Minister. Im Januar sollten Gründungskommissionen ihre Arbeit beginnen. Er sicherte den Studenten dabei ein Mitspracherecht zu. Entgegen früheren Angaben soll es auch für die Sektion Journalistik einen Neuanfang geben. „Wir wollen keinen wissenschaftlichen Kahlschlag betreiben, auch keine weltanschauliche Ausrottungskampagne, sondern eine Pluralität der Lehrmeinungen garantieren“, sagte Meyer.
Die Studenten warfen dem Minister dagegen vor, „in den alten Politbüro-Stil“ zu verfallen. Die Entscheidung über die sogenannte Abwicklung der Sektionen sei über die Köpfe der Studenten hinweg getroffen worden. Die Demonstranten bestehen weiter auf einer Verwaltungsgerichtsklage des Hochschulrektors gegen den Dresdener Kabinettsbeschluß zur Abwicklung bestimmter Fachbereiche. Sie fordern mehr Mitspracherecht bei der Auflösung der Sektionen sowie eine auf ein Jahr befristete kommissarische Neubesetzung aller Leitungsfunktionen.
In Frankfurt versprach die Gewerkschaft Wissenschaft (GEW) den ostdeutschen Studenten juristische Hilfe.
Die GEW werde alle Mittel einsetzen, um die „in Existenzangst und Perspektivlosigkeit gedrängten Mitglieder in Hochschulen und Forschungseinrichtungen der ehemaligen DDR“ zu unterstützen, erklärte der GEW-Vorsitzende Dieter Wunder.
Im Bedarfsfalle wolle die Gewerkschaft den Instanzenzug bis zum Bundesverfassungsgericht durchgehen. Wunder sagte: „Bei allem Verständnis für Neustrukturierungen im Hochschul- und Wissenschaftsbereich und den damit verbundenen personellen Einsparungen ist die kaltschnäuzige und arrogante Art und Weise, wie gegenwärtig wissenschaftliche Einrichtungen abgewickelt werden, zutiefst unmenschlich.“
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