■ Linkssozialisten: Der PDS-Vordenker André Brie zieht sich zurück: Reformer im Parteivorstand: ratlos
Von Sisyphus heißt es, er sei ein glücklicher Mensch gewesen. Das läßt sich von André Brie nicht ohne weiteres sagen. Mit der blaß-spröden Miene eines Kaders hat er jahrelang den Wahlkampf der PDS gemanagt und deren Programmdebatte angeschoben. Nun will er nicht mehr. Er verläßt den Vorstand der Partei. Brie hat gelitten unter der PDS. Erst vor wenigen Tagen hat er deren Strategieunfähigkeit lauthals beklagt. Die PDS sei unfähig, die großen gesellschaftspolitischen Fragen, auch die Auseinandersetzung mit Rot-Grün, in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Die Partei könne ihren Anspruch, links von der SPD zu stehen, nicht inhaltlich definieren. An diesem Befund ist nichts zu relativieren.
Die PDS ist gestärkt aus der Bundestagswahl hervorgegangen und in Mecklenburg-Vorpommern zum ersten Mal an einer Regierung beteiligt. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist ihr gewiß. Doch wofür nutzt sie diese? Um sich der Täter des DDR-Regimes anzunehmen und Geschichte zu klittern. Ein trotziger Bekennermut macht sich breit. Brie nennt es das Wir- sind-wieder-wer-Gefühl und kennzeichnet mit dieser historischen Parallele das Problem. Die PDS wird aus sich heraus ihre Vergangenheit nicht mehr aufarbeiten, sie wird ihre Reminiszenzen aber um so ungenierter ausleben, je etablierter sie ist. Das macht es ihr nicht einfacher, ein positives Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie zu entwickeln – was Brie gleichfalls gefordert hat.
Das Mehr an Macht und Einfluß macht das programmatischen Defizit der PDS erst evident. Doch wie könnte es gefüllt werden? Hier wird auch Chefdenker Brie schweigsam-schwammig. Dabei hätten er und die, die sich in der PDS Reformer nennen, genug Zeit gehabt, ein, zwei Projekte zu definieren, anhand derer die geforderte Modernisierung konkretisiert und damit die PDS konturiert werden könnte.
Das hätte allerdings, ähnlich wie bei den Grünen in den achtziger Jahren, zu internen Zerreißproben geführt. Davor schreckt die PDS zurück, deshalb sind solche Projekte und Klärungsprozesse bei ihr nicht erkennbar. Sie verharrt in sozialpolitischem Etatismus und im apodiktischen Pazifismus und geriert sich als Vertreterin diffuser ostdeutscher Interessen. Bei einer solchen Partei verkommt auch der Begriff der Reformer zur Pose. Deren Fortschrittlichkeit ermißt sich allenfalls an der Rückständigkeit der Restpartei. Brie geht, weil er eine inhaltliche Entwicklung bei der PDS nicht zu erkennen vermag. Wenn er diese Entwicklung allerdings selbst konsequent vollzieht, wird er sich fragen müssen, warum er zur PDS zurückkehren sollte. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen