■ Vorgespult: Reden, über zwei Welten hinweg
„Raya – Eine Bagatelle“. Hörspiel von Nina Achminow, Mo., 21.00 Uhr, ORB
Bluesfetzen, Stimmen, eine Wohnungstür öffnet sich. „Schön hier“, meint Raya, ein kleiner Kläffer bellt dazwischen. Und daß die Einbauküche praktisch ist. Obwohl: Die Schränke hängen ihr zu hoch. Soweit ein ganz normaler Dialog. Ein wenig holprig vielleicht – die beiden Frauen kennen sich offensichtlich wenig. Umso seltsamer, daß Raya ihre Begleiterin etwas rüde anfährt, sie könne mit Batterie schon selber laufen, brauche zum Aufrichten aber Dorothees stützende Hand.
Der kleine Schock macht plötzlich klar: Rayas Existenz ist keine Bagatelle. Auf einer Isarbrücke wurde sie aufgelesen. Nachts, ohne Wohnung, heulend und im Rollstuhl. Dorothee (die mit der Einbauküche) kam vorbei, fragte: „Kann ich Ihnen helfen?“ und nahm sie für eine Übernachtung mit nach Hause. Das ist der Neorealismo unserer Tage, eine Geschichte, die jedeR, der in bundesdeutschen Metropolen lebt, täglich und gleich mehrmals erleben kann. Oder besser: erleben könnte. Denn natürlich kommt es nie oder selten dazu, weil die wohlgesetzte BürgerIn, wenn's brenzlig wird, doch lieber kneift.
Nina Achminows Stück – von Ursula Weck leise und mit Nachdruck inszeniert – nimmt uns dieses Kneifen nicht fingerdrohend übel. Hier wird kein Schreck-Klischee vom Opfer entworfen, hier strahlt auch keine Samariterin. Das Treffen der beiden Frauen ist einfach nur merkwürdig spannend. Wir hören, was passieren könnte, wenn aus dem abgewandten Blick einmal eine echte Begegnung wird: ein wenig reden, über zwei Welten hinweg. Am Morgen danach zieht Raya weiter, in der Tasche ein bißchen geliehenes Geld. Ob Dorothee es wiederhaben will? So optimistisch ist das Hörspiel nicht. Ein zweites Mal das „harte Leben“ sehen – wem wäre das schon zuzumuten.
Und damit steht die Hörspielredaktion des ORB wieder einmal zu ihrem manchmal undankbaren Vorsatz, die satten Bundesdeutschen nach ihren Schwächen abzuhorchen. Und ihnen ab und zu ihr Fett zu geben.Gaby Hartel
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