: Reden ist Silber, streiken ist Gold
■ Steikimpressionen aus der Hauptstadt — die Eckkneipe wird zum Streiklokal umfunktioniert
Berlin (taz) — So viel Kaffee hat Gerhard Mielke um sechs Uhr morgens noch nie verkauft. Heftig debattierend sitzen die streikenden Mitarbeiter der benachbarten BVG- Hauptwerkstatt seit den frühen Morgenstunden in seinem „Ufer-Eck“ und planen ihr weiteres Vorgehen. „Ich war auch mal im öffentlichen Dienst“, sagt der Wirt, er stehe „voll hinter dem Streik“. Seit dem ersten Tag öffnet er seine zum Streiklokal umfunktionierte Eckkneipe zwei Stunden früher als sonst.
Die Stimmung ist gereizt. „Jetzt geht es nicht mehr um ein paar Mark“, gibt sich Karl kampfbereit, „jetzt wehren wir uns gegen das Lohndiktat.“ Die Arbeitgeber hätten sich an die vom Kanzler vorgegebenen 4,8 Prozent gehalten, so der Schlosser, „aber zu unserer Demokratie gehört eben auch die Tarifautonomie“.
„Wir streiken weiter“ steht für Ingrid, Angestellte in der Kostenrechnung, außer Frage. „Vielleicht sehen Arbeitgeber und die Bevölkerung ja jetzt ein, daß wir keine Runde von plaudernden Kaffeetrinkern sind.“ Die Gespräche in Stuttgart hätten allerdings gezeigt, daß die Gewerkschaften als Verhandlungspartner noch nicht ernst genug genommen würden.
„Ich hatte ja schon erwartet, daß die Arbeitgeber wenigstens ein verhandelbares Angebot auf den Tisch legen“, zeigt sich Streikleiter Lutz Hoppe enttäuscht. Der 29jährige Lackierer steht seit halb fünf am Werkstor, um Streikposten einzuteilen. Die 330 Mitarbeiter haben ihre Arbeit komplett niedergelegt, auch die Werkstattleitung stehe hinter dem Ausstand. „Die sind selbst in der Gewerkschaft organisiert und haben sich wie alle anderen den Planungen des Streikkomitees untergeordnet“, lobt der Streikleiter. „Jetzt muß der Streik bis zum Ende durchgezogen werden“, erklärt Peter, der Tischler. „Wir dürfen auf keinen Fall mehr umfallen.“ Bei immer weiter steigenden Mieten und Steuern müsse gerade für die schlechter Verdienenden ein deutlich besseres Ergebnis herauskommen, fordert Karl vehement: „Die sicheren Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst gibt es schon lange nicht mehr, und wir wollen nicht die Sparschweine der Nation werden.“ Von „Seiters und all den anderen“ fordert er zur Freude der übrigen Streiker in der vollen, verqualmten Kneipe den sofortigen Rücktritt: „Mit ihrer Sturheit haben sie gegen ihre Verpflichtung verstoßen, Schaden von der Bundesrepublik abzuwenden.“ Der Streik finde schließlich nicht zum Spaß statt, „wir arbeiten sonntags, nachts und im Schichtdienst, aber wir wollen auch bezahlt werden“. Es sei „schmutzig“ von Bund, Ländern und Kommunen, daß man die Gewerkschaften zum „allerletzten Mittel, dem Streik, zwingt“, und nun „droht in den anderen Gewerkschaften ein Flächenbrand“.
„Monika bleibe hart“ fordern auch die streikenden Busfahrer auf ihrem Transparent, das sie am Tor des Depots im Wedding gespannt haben. Als „unglaubliche Frechheit“ empfinden sie das Arbeitgeber-Angebot vom Vorabend. „Jetzt wird es teuer“, mutmaßt Fahrer Horst, „hätten die Arbeitgeber das Schlichtungsangebot angenommen, wären sie billiger weggekommen.“ Gerade für die unteren Lohngruppen müsse jetzt „eine Sechs vor dem Komma“ stehen. Nur dann werde der Streik beendet, zumal die Bevölkerung dem Arbeitskampf erfreulich positiv gegenüberstehe. „Die Leute sehen, daß wir um unser Recht kämpfen“, glaubt Horst, „es muß sich doch lohnen, morgens zur Arbeit zu gehen.“ Allerdings sind sie sich sicher, daß diese Stimmung „nach zwei bis drei Wochen Streik umschlagen“ kann: „Dann sind wir die Arschlöcher, denn an die Arbeitgeber kommt der kleine Mann ja nicht ran.“ Christian Arns
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