Rechte Regierungen in der EU: Auf dem Vormarsch
Ungarn und Polen werden schon lange rechts regiert, nun kommen Schweden und vermutlich Italien dazu. Doch die Alarmglocken in der EU klingeln nicht.
An Griechenland wurde ein Exempel statuiert, seitdem ist die Linke in Europa in der Defensive. Ganz anders sieht es auf der rechten Seite des Parteienspektrums aus. Nationalisten und Rechtspopulisten sind in mehreren Ländern auf dem Vormarsch.
Ungarn und Polen werden schon seit Jahren rechts regiert. Vor Kurzem kam auch noch Schweden hinzu: Vergangenen Sonntag wurde dort die Mitte-links-Regierungskonstellation abgewählt, der rechte Block hat künftig die Mehrheit im Parlament, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten haben ein Rekordergebnis erzielt. Und nun droht der Super-GAU: Wenn nicht alles täuscht, werden am Sonntag in Italien die Postfaschisten die Macht übernehmen.
Die rechtsextreme Partei Fratelli d’Italia und ihre Chefin Giorgia Meloni haben sich nie vom Faschismus und von Mussolini distanziert. Jetzt wollen sie zusammen mit Silvio Berlusconis Partei Forza Italia die Regierung stellen.
Es bleibt ruhig
Doch diesmal klingeln in der Europäischen Union keine Alarmglocken – oder wenn, dann sind sie verdammt leise. Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament finden es zwar „befremdlich“, dass die Konservativen mit den Postfaschisten paktieren. Sie stellen sich ihnen aber nicht in den Weg. Obwohl Berlusconi die EU schon einmal in die Krise stürzte. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise wurde er zum Rückzug gezwungen. Und jetzt ignoriert Brüssel einfach die rechte Gefahr.
Das mag daran liegen, dass die führenden Konservativen, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und der Chef der größten Parlamentsfraktion, Manfred Weber (CDU), die Daumen für Berlusconi drücken. Sie schämen sich offenbar nicht dafür, dass ein Mitglied ihrer Parteienfamilie EVP zum Steigbügelhalter für die Postfaschisten werden könnte. Gegen links machen sie mobil, mit einem Rechtsruck haben sie keine Probleme.
Eine andere Erklärung lautet, dass sich Möchtegern-Premierministerin Meloni zumindest verbal zur EU bekannt hat. Im Wahlkampf beteuerte sie, dass Italien auch unter ihrer Führung ein verlässlicher Partner bleiben wolle. Allerdings erklärte Meloni auch, dass bald „der Spaß vorbei“ sein werde. „Auch Italien wird anfangen, seine nationalen Interessen zu verteidigen. So wie es die anderen machen auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen.“
Wenn sie es ernst meint, droht Europa ein Rückfall in Egoismus und Nationalismus – und das zu einer Zeit, da die Europäische Union durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gebunden und durch die Wirtschaftssanktionen geschwächt ist.
Eine erneute Eurokrise?
Doch das ist nicht die einzige Gefahr. Italien könnte nach einem Rechtsruck eine neue Eurokrise auslösen. Das Land ist hoch verschuldet und hat mit steigenden Zinsen zu kämpfen. Ein falsches Wort, und die Lunte brennt.
Das größte Problem ist jedoch, dass sich die Gewichte in der EU verschieben und die Entscheidungsfindung immer schwieriger wird. Bisher war Italien – zusammen mit Deutschland und Frankreich – eine tragende Säule.
Künftig könnte es zum Quertreiber werden, so ähnlich wie Polen. Oder zum unsicheren Kantonisten wie Ungarn. Mit dem trauten Trio aus Berlin, Paris und Rom, das gemeinsam im Sonderzug nach Kiew reist, ist es jedenfalls vorbei.
Noch ist unklar, welchen Kurs Meloni und Berlusconi in der Außenpolitik fahren werden. Doch EU-Diplomaten treibt die Sorge um, dass die Rechten den harten Kurs gegen Russland lockern und die Sanktionen aufweichen könnten.
Allerdings trauen sie sich nicht, das offen auszusprechen. Vor Alexis Tsipras, dem Linken, wurde laut gewarnt. Bei Giorgia Meloni, der Rechten, wird leise getreten. Ist die EU auf dem rechten Auge blind? Es sieht ganz so aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz