Recht: Schwarz-Gelb auf der Kippe
Womöglich wir das Schleswiger Landesverfassungsgericht am Montag eine Neuwahl des Kieler Landtags anordnen. Die taz nord erklärt, warum das so ist und was für Auswirkungen eine solche Entscheidung auf das Parlament und die Landespolitik hätte.
Erst seit 2008 hat Schleswig-Holstein ein eigenes Landesverfassungsgericht. Doch gleich sein zweites Urteil könnte gravierende Auswirkungen auf die Landespolitik haben. Es muss prüfen, ob der Kieler Landtag korrekt zusammengesetzt ist und die im Vorjahr gewählte schwarz-gelbe Landesregierung überhaupt eine Mehrheit hat.
Wo liegt das Problem?
Bei der Landtagswahl im September 2009 bekamen CDU und FDP weniger Stimmen als SPD, Grüne, SSW und Linke. Erst bei der Umrechnung in Parlamentssitze erhielten CDU und FDP eine Mehrheit von zunächst drei Stimmen. Nach einer Neuauszählung im Wahlkreis Husum sank der Sitz-Vorsprung auf einen Sitz, doch immer noch hat Schwarz-Gelb die Mehrheit im Landtag.
Warum halten Grüne, SSW, Linke und 48 klagende Bürger dies für verfassungswidrig?
Die Stimmenmehrheit für Schwarz-Gelb kam zustande, weil elf Überhangmandate für die CDU aufgrund einer Bestimmung des Wahlgesetzes nur teilweise ausgeglichen wurden. In der Landesverfassung heißt es jedoch, dass das Wahlgesetz "für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss". Die Kläger halten deshalb das Wahlgesetz für verfassungswidrig. Bei einem vollständigen Ausgleich der CDU-Überhangmandate hätten SPD, Grüne, Linke und SSW zusammen eine Mehrheit im Landtag.
Warum sieht das Wahlgesetz keinen vollständigen Ausgleich der Überhangmandate vor?
Die Verzerrung des Wahlergebnisses wird damit gerechtfertigt, dass der Landtag nicht zu groß werden soll. Bei einem vollständigen Ausgleich der CDU-Überhangmandate hätte der Landtag 101 Abgeordnete, derzeit hat er nur 95 Sitze.
Welche Entscheidungen sind möglich?
Wenn das Verfassungsgericht das Wahlgesetz und seine Anwendung für verfassungskonform hält, würden die Klagen abgelehnt und alles bliebe, wie es ist. Wenn die Richter das Wahlgesetz für verfassungswidrig halten, könnten sie eine Neufassung des Gesetzes und anschließende Neuwahlen fordern. Falls das Gericht eine verfassungskonforme Auslegung des Wahlgesetzes für möglich hält, könnte es nur die Sitzverteilung durch die Landeswahlleiterin beanstanden. Dann bekäme der Landtag zusätzliche Abgeordnete und könnte mit der neuen Mehrheit eine neue Regierung wählen.
Warum gehen Beobachter derzeit davon aus, dass das Gericht Neuwahlen anordnet?
Ein Medienbericht beruft sich auf die Indiskretion "vertrauenswürdiger Quellen". Er scheint plausibel, weil das Gericht in der mündlichen Verhandlung im Juni noch ein zweites Problem des Wahlgesetzes beanstandet hat, das nicht durch eine verfassungskonforme Anwendung gelöst werden könnte.
Was ist das zweite Problem des Wahlgesetzes?
Es sieht vor, dass 40 von 69 regulären Sitzen des Landtags als Direktmandate vergeben werden. Die hohe Zahl von 40 Wahlkreisen begünstigt aber das Entstehen von Überhangmandaten, das heißt, dass eine Partei mehr Direktmandate erhält, als ihr proportional nach dem Wahlergebnis Sitze zustünden. Da die reguläre Größe des Landtags mit 69 Sitzen in der Landesverfassung vorgeschrieben ist, könnte die im Wahlgesetz bestimmte hohe Zahl der Wahlkreise verfassungswidrig sein, weil sie die extreme Aufblähung des Landtags durch Überhang- und Ausgleichsmandate verursacht.
Falls Neuwahlen angeordnet werden, wie schnell müssten diese erfolgen?
Der Landtag müsste genügend Zeit haben, ein neues Wahlgesetz zu beschließen. Sollte dabei auch die Zahl der Wahlkreise neu bestimmt werden müssen, bräuchte der Zuschnitt der neuen Wahlkreise einige Zeit. Der in den Medien genannte Neuwahl-Termin im Herbst 2012 erscheint aber sehr spät und dadurch kaum zu rechtfertigen. Ein möglichst schneller Wahltermin wäre sinnvoll, solange der Landtag verfassungswidrig zusammengesetzt ist.
Was passiert mit den Gesetzen, die der Landtag seit September 2009 beschlossen hat?
Sollte die bisherige Zusammensetzung des Landtags verfassungswidrig sein, beeinträchtigt dies die Legitimität aller in der Zwischenzeit gefassten Beschlüsse und Gesetze. Dennoch wird das Verfassungsgericht die Gesetze zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit wohl für gültig erklären.
Kann es sein, dass ein verfassungswidrig zusammengesetzter Landtag ein neues Wahlgesetz beschließen muss?
Das ist denkbar. Allerdings würde das Verfassungsgericht in diesem Fall wohl konkrete Vorgaben machen. Außerdem könnte das Verfassungsgericht bis zu Neuwahlen übergangsweise auch sicherstellen, dass der Landtag entsprechend dem Wahlergebnis proportional korrekt zusammengesetzt ist. Dann würden bis zur Neuwahl zusätzliche Abgeordnete in den Landtag einziehen, die auch eine Übergangsregierung wählen könnten. Dies würde nicht nur die Legitimität des Wahlgesetzes, sondern aller Beschlüsse des Landtags bis zu einer Neuwahl stärken.
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