: Rebellen erobern Grosny zurück
■ Schwere Gefechte in allen Stadtteilen. Sicherheitsrat vertagt Entscheidung über Friedensplan für Tschetschenien
Moskau/Grosny (AFP/dpa) – Tschetschenische Rebellen standen einen Tag nach Beginn ihrer Offensive gestern offenbar kurz vor der Rückeroberung der Hauptstadt Grosny. Rund 1.000 Separatisten kämpften sich zum Stadtzentrum vor und begannen den Sturm auf das Fernsehzentrum. Scharfschützen Dudajews standen nach Angaben der von Moskau eingesetzten tschetschenischen Führung etwa 300 Meter vor dem Regierungsgebäude. Alle russischen Kontrollposten waren umzingelt. Außerdem drohte ihnen die Munition auszugehen.
Die Kämpfe tobten in fast allen Stadtteilen. Mindestens 44 Soldaten des russischen und tschetschenischen Innenminsteriums seien getötet worden. Nach russischen Angaben wurden 130 Rebellen getötet. Der russische Fernsehsender ORT berichtete, auch unter der Zivilbevölkerung und der tschetschenischen Polizei gebe es viele Opfer.
In Moskau kam der nationale Sicherheitsrat unter der Leitung von Präsident Boris Jelzin zu keiner endgültigen Entscheidung über die Beilegung des Konflikts. Zur Lage in Grosny sagte Jelzin, alle Rebellen seien vertrieben worden. „Es ist den Dudajew-Anhängern gelungen, ihr letztes Aufgebot – 500 bis 700 Mann – in die Stadt einzuschleusen, dennoch ist die Stadt gesäubert worden.“
Moskau schickte am Nachmittag Einheiten des russischen Verteidigungsministeriums zur Unterstützung nach Grosny, wie Interfax meldete. Auch am zweiten Tag der Kämpfe hatten Fernsehteams keine Dreherlaubnis. „Auf den Straßen liegen Leichen von Soldaten und Zivilisten“, zitierte Interfax den stellvertretenden tschetschenischen Regierungschef, Abdula Bugajew. Die Separatisten nahmen Bugajew zufolge in Grosny 84 russische Bauarbeiter als Geiseln. In einigen Stadtteilen sei die Trinkwasserversorgung zusammengebrochen. Eine Heizölpipeline sei durch einen Bombenanschlag zerstört worden.
Jelzin will Ende März mit einem Plan zur friedlichen Lösung des Tschetschenien-Konflikts an die Öffentlichkeit gehen. Er drängte den Sicherheitsrat, den Plan bei der nächsten Sitzung in einer Woche anzunehmen, wie Interfax meldete. Direkte Verhandlungen mit den tschetschenischen Rebellen lehnte Jelzin ab. Daher sollen nach seinen Worten innertschetschenische Verhandlungen Grundlage des Vorschlags sein.
Kritisch blieb die Lage in der seit fünf Tagen von tschetschenischen Rebellen kontrollierten Stadt Sernowodsk an der Grenze zu Inguschetien. Russische Artillerie habe die Stadt beschossen. Zivilisten hätten in Kellern Zuflucht gesucht, hieß es. Rund 16.000 Menschen sollen auf die inguschetische Seite geflüchtet sein.
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