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„Realistisch aussteigen“

■ Niedersächsisvcher Landtag zehn Jahre nach Tschernobyl über Atompolitik uneins

Hannover. Zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind die daraus zu ziehenden Konsequenzen zwischen den Parteien weiter umstritten. Die Lehre aus dem Unfall müsse der „konsequente politische Kampf für den Ausstieg aus der Atomenergie“ sein, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Rebecca Harms, am Mittwoch im Landtag. Der SPD-Abgeordnete Uwe Inselmann plädierte für ein „realistisches Konzept“. Der Ausstieg aus der Kernenergie sei nicht in zwei Monaten zu schaffen.

Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) meinte, es müßten Anreize für eine Umsteuerung in der Energiepolitik geschaffen werden. Die Milliardenbeträge, die jetzt nach Osteuropa fließen, müßten für eine andere Form der Energieversorgung eingesetzt werden. Die Ministerin wies entschieden den Vorwurf der Grünen zurück, die Atomkraftwerke in Niedersachsen seien die unsichersten in Deutschland.

Für die CDU verlangte der Abgeordnete Dietrich Stratmann, die 16 noch laufenden Reaktoren vom Tschernobyl-Typ so schnell wie möglich abzuschalten. Solange dies nicht möglich sei, müßten sie sicherheitstechnisch nachgerüstet werden. Der CDU-Abgeordnete Georg Schirmbeck meinte, zuerst müßten die Anlagen geschlossen werden, von denen konkret Gefahren ausgehen, und nicht die Reaktoren mit dem höchsten Sicherheitsstandard. dpa

Harms warf den deutschen Energieversorgungsunternehmen vor, sie würden sich „im Osten eine goldene Nase mit der Nachrüstung der Schrottreaktoren verdienen“. Diese blieben dadurch länger am Netz. Das von der Atomenergie ausgehende Risiko werde so nicht verringert, sondern verlängert. Die Atomindustrie riskiere ständig das Leben tausender Menschen. Politiker, die wie Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) über Restlaufzeiten von 40 Jahren für deutsche Atomkraftwerke verhandeln, machten sich zum Mittäter.

Der SPD-Abgeordnete Inselmann warf der „Atomlobby“ in Deutschland vor, sie verharmlose auch noch zehn Jahre nach Tschernobyl die von der Kernenergie ausgehenden Gefahren. Gleichzeitig setze die Bundesregierung ihren atomfreundlichen Kurs fort. An die Adresse der Grünen sagte Inselmann: „Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nicht über Landesregierungen und Landesparlamente zu leisten. Wer den Ausstieg will, muß in Bonn andere Mehrheiten schaffen.“

Landtagspräsident Horst Milde (SPD) kritisierte, der Westen helfe der Ukraine bei der Bewältigung der Reaktorkatastrophe zu zögernd. Dem Staat sei es unmöglich, die geschätzten notwendigen mehreren Milliarden Dollar zur langfristigen Sicherung des zerstörten Atommeilers aufzubringen. dpa

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