■ Zum Streit um die Pieck-Straße: Realer Formalismus
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Mitte hatte sich schon längst für den alten Straßennamen entschieden, da meldet sich fünf nach zwölf die PDS zu Wort. Mit einem Antrag soll die Umbennung der Wilhelm-Pieck-Straße wieder rückgängig gemacht werden. Der Zeitpunkt fällt nicht zufällig in den Bundestagswahlkampf, wohl auch deshalb vermeidet die Partei jede inhaltliche Stellungnahme zu Wilhelm Pieck. Statt dessen erinnert die Diskussion, an der sich zahlreiche Bürger und Geschäftsleute beteiligen, an früherere Auseinandersetzungen in westlichen Bezirken. Auch dort wurde, wo es um die Tilgung von Straßennamen aus der Nazizeit ging, gern auf die Kosten verwiesen, die eine Beschriftung von Briefpapier und Visitenkarten nun einmal nach sich zieht. Für die Beibehaltung des Namens Pieck fand sich in der BVV keine Mehrheit. Man sprach sich für Rückbenennung in die frühere Bezeichnung Torstraße aus, ein immerhin politisch unverfänglicher Name. Nun wird der Eindruck erweckt, der gesamte Vorgang sei zutiefst undemokratisch: So wie die DDR-Oberen damals ihren Willen durchsetzten, so werde auch heute agiert, von oben herab, am Volke vorbei. Unabhängig von der damit zum Ausdruck gebrachten Denkart, die auf das innewohnende Vorurteil eines Teils der PDS-Klientel gegen demokratische Spielregeln setzt, wird dabei die Person des ehemaligen DDR-Präsidenten ausgeklammert. Im Gegensatz zu Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht oder Clara Zetkin, deren Schriften über den Rahmen der kommunistischen Bewegung hinaus bis heute zur Auseinandersetzung anregen, war Pieck ein Mann des Apparats. Daß er während der Stalinära im Moskauer Exil versuchte, sich für seine eigenen, von Verschleppung und Mord bedrohten Genossen einzusetzen, ist ein Aspekt seiner Person. Der andere betrifft sein späteres Wirken in der DDR. Während Kommunisten wie Walter Janka in der DDR ins Gefängnis geworfen wurden, saß Pieck der Spitze jenes Staates vor. Daran kommt niemand vorbei, der sich inhaltlich und nicht – wie jetzt durch die PDS geschehen – formal mit der Umbenennung der Straße beschäftigt. Nicht die Erinnerung an Pieck durch einen Straßennamen ist gefragt, sondern die historische Aufarbeitung. Severin Weiland
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