Analyse: Rauchen und Glauben
■ Nichtraucherschutz verschlingt Milliarden, meint die deutsche Industrie
Der Wirtschaft drohen Milliardenkosten, warnt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Sollte der Bundestag diese Woche das Nichtraucherschutzgesetz verabschieden, kämen 33 Milliarden Mark Ausgaben auf Unternehmen und Behörden zu. Allein um Raucher und Nichtraucher zu trennen, müßten die Unternehmen 15,9 Milliarden Mark in Umbauten investieren. Ämter und Behörden hätten nur 2,9 Milliarden Mark dafür aufzubringen. Weitere 21,2 Milliarden Mark würden Mitarbeiter kosten, wenn sie ihren Arbeitsplatz für eine Zigarettenpause verlassen. Während die Rendite sich in Luft auflöst, leide natürlich auch die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit. Beamte und öffentlich Bedienstete verrauchen in Pausen nur 4,7 Milliarden.
Das IW als Forschungsinstitut des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) findet sich mit dieser gewagten Hochrechnung in seltener Eintracht mit der Gewerkschaft „Nahrung, Genuß, Gaststätten“. Auch die wettert seit Jahren gegen ein Gesetz zum Schutz von Nichtrauchern. Die Gewerkschafter meinen, daß die bestehenden Arbeitsschutzgesetze ausreichen, die nichtrauchenden Kellnerinnen und Küchenmeister vor Qualm zu schützen. Die Gesetzentwürfe zum Nichtraucherschutz halten sie für „überzogen, unnötig und keinesfalls sachgerecht“.
In den Bonner Schubladen liegen seit 1994 zwei Gesetzentwürfe zum Thema. Den einen haben 132 Abgeordnete von CDU/CSU, FDP und SPD gemeinsam eingebracht. Den anderen hat die Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen initiiert. Er möchte die Tabakindustrie stärker zur Verantwortung ziehen, doch im Grunde streben alle beteiligten Parteien dasselbe an. In öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln sowie an Arbeitsplätzen soll ein generelles Rauchverbot herrschen. Wer dennoch raucht oder das Gesetz nicht umsetzt, muß mit Geldbußen bis zu 5.000 Mark rechnen. Beide Gesetzesvorschläge wandern seit Monaten durch die Ausschüsse. Heute nun haben sie den Wirtschaftsausschuß erreicht, der sich Experten aus der Industrie geladen hat.
Zu befürchten ist, daß deren Ausführungen ein ähnliches Niveau haben wie die Zahlenspiele des IW. Leicht ließe sich gegenrechnen, daß die angeführten Investitionskosten die Bauwirtschaft aus ihrem Tief reißen könnten. Nichtraucherlobbyisten verweisen im übrigen darauf, daß mit einem Gesetz die heute passiv rauchenden Mitarbeiter seltener krank würden und so Kosten eingespart würden. Ausrechnen läßt sich letztlich alles, und es bleibt eine Frage des Glaubens, was mit den Studien passiert. Die Lobbyisten könnten sich ihre Expertisen sparen, da es eine Frage der Überzeugung ist, ob nichtrauchende Menschen vor ihrer hedonistischen Umwelt geschützt werden müssen. Ulrike Fokken
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