: Rar und wahr
■ Neue Porträtserie: Spartenläden für Plattensammler und ihre Macher
Wer sich dem T-Shirt-Slogan „Save the Vinyl“ nicht nur aus modischen Gründen verschrieben hat, steht in Hamburg nicht auf verlorenem Boden. Es gibt sie noch, die Spezialisten, die – außer 20 Marius LPs und der gesamten Discographie von Simply Red – Platten in den Regalen stehen haben, die das Herz der Sammler und jener erfreuen, die Musik jenseits der Aktualität lieben. Zwischen dem landesweit gerühmten Filmmusik-Spezialisten Tarantula und der liebenswerten Indie-Höhle Unterm Durchschnitt des KED-Vorsitzenden Dr. Kurt Euler gibt es ein breites Sortiment an Spartenläden für jeden Geschmack, die wir in loser Folge vorstellen.
Tim und Micha Warren von Crypt Records sind auch den Größen der Independent-Szene ein Begriff. Ihr Label, das Tim 1983 in New York gründete, gab den Anstoß für den Plattenladen, in dem schon die Cramps und Jim Jarmusch ihre sauerverdiente Kohle ließen. Auf der Suche nach Lagerräumen für ihre eigenen Veröffentlichungen stolperten sie über den Keller in der Seilerstraße.
Tim stieg einst mit einigen Singelraritäten ins Geschäft ein, als er beschloß, daß nicht nur Sammler die Möglichkeit haben sollten, zu den Roots des Rock'n'Roll zurückzufinden. Aus dieser Idee heraus hob er mit den Compilations Back From The Grave sein Label aus der Taufe, das nach und nach auch zeitgenössischen amerikanischen Underground unter Vertrag nahm. Im Moment sind acht Bands bei Crypt, u.a. die Jon Spencer Blues Explosion, Gaunt und Teengenerate.
In Micha, die für ein süddeutsches Radiomagazin arbeitete und ihn bei einem Interview kennenlernte, fand er seine kongeniale Ergänzung und ging mit ihr nach Hamburg. Seit 1991 haben Tim und Micha nun all das im Regal, was Musikinteressierte bei WOM mit der Lupe suchen. Neben ihren eigenen Veröffentlichungen ist der Laden bis zum Platzen mit Importen, Raritäten und allem gefüllt, was sich kommerziellen Etiketten verweigert, nebst den dazugehörigen Fanzines, hauptsächlich aus den USA. Per Mailorder wird auch das außereuropäische Ausland bedient. Punk, Trash, Ska, aber auch Blues- und Soulgrößen sind hier zu bekommen. Tim, mit phänomenalem Gedächtnis und Gehör gesegnet, kann über fast jede Platte Auskunft geben, samt Werdegang und Qualitätsknick in der Karriere. Geschmackliche Fehlgriffe der Kundschaft bleiben jedoch meist unkommentiert, manchmal manifestiert sich darin aber auch die Entwicklung des Käufers.
Seine Roots im Punk hat auch Herbert Zorn, der Inhaber von Groove City in der Budapesterstraße. Durch Ska auf den Geschmack gebracht, ist Herbert jedoch zur Kapazität für Soul, Reggae, Jazz, Blues und HipHop geworden, die Musik, die so gerne zu Schwarzer Musik zusammengefaßt wird. Herbert Zorn, der einst bei Zardoz im Keller saß, hat später sein eigenes Imperium mit annähernd 20 000 Tonträgern gegründet. Trotzdem er Sammler mit Rare Grooves im doppelten Sinne bedienen kann, bleiben für ihn noch eine Menge erlesene Raritäten zu finden. So schleicht er in seiner freien Zeit auf Beutejagd durch Second-Hand-Läden oder ist in Chicago abseits der ausgetretenen Pfade auf der Pirsch.
In seinem eigenen Laden gibt er sich enthaltsam: Seit Monaten ringt Herbert mit der Versuchung in Gestalt einer verschweißten Kostbarkeit, die er seiner Kundschaft jedoch nicht vorenthalten will.
Vera Schönfeld
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