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Rangliste der US–Banken in Bewegung

■ Wertberichtigung: Chase Manhattan zieht nach / Rückstellungspraxis bei Dritte–Welt–Krediten trennt solvente von insolventen Häusern

Von Ulli Kulke

Die Stunde der Wahrheit wollen ganz offenbar einige US–Banken einläuten. Sie gestehen ein, daß ein großer Teil ihrer Forderungen gegenüber den verschuldeten Ländern Lateinamerikas nicht mehr einzutreiben sind, legen bedeutende Summen in den Topf für „Risiko–Rückstellungen“ und nehmen damit Gewinnschmälerungen bzw. Verluste in Milliardenhöhe in Kauf. Was auf den ersten Blick wie eine logische Aner kennung der Realitäten anmutet, dürfte für einige der Kreditinstitute Teil einer Strategie sein, die Ranglisten unter den Banken neu zu ordnen, und eine stärkere Position bei den Verhandlungen mit den Schuldnerländern zu ergattern. Nachdem die Citicorp bereits am 19. Mai 2,5 Milliarden Dollar „abschrieb“, zog jetzt die Chase Manhattan mit 1,6 Milliarden nach. Nur kurzfristig reagierte die US–Börse auf den angekündigten Verlust bei Citicorp negativ. Einen Tag später stieg der Aktienkurs des Hauses um knapp fünf Prozent. Die Rechnung des dynamischen Bankchefs Reed war damit aufgegangen. Monatelang dümpelten die Aktien - Mitindikator bei der Bewertung der Seriosität und somit entscheidend beim Kreditgeschäft - auf niedrigem Kurs. Daß Reed dann die Wertberichtigungen vornehmen konnte, angeblich ohne die Dividende in Gefahr zu bringen, wurde nun von den Spekulanten als klarstellende Befreiungstat gewertet. Gleichzeitig sackte der Kurs der Konkurrenz–Banken ab: Ihnen wurde unterstellt, sie wären finanziell nicht potent genug, um ebensolche Klarstellungen anzupeilen. Als dann die Bank von England „ihren“ Häusern riet, ähnliche Rückstellungen vorzuneh men, wurdedie Dramatik der Lage noch deutlicher und brachte diejenigen, die diesen Schritt nicht gehen, in noch schlechteres Licht. Vor diesem Hintergrund ist das Nachziehen der Chase Manhattan zu sehen. Alle Augen schielen jetzt auf die ohnedies angeschlagene BankAmerica. Sie stand in der letzten Zeit mehrfach nahe der Zahlungsunfähigkeit. Spekulationen über die Übernahme durch eine andere Bank waren nicht totzukriegen, sie werden jetzt neue Nahrung erhalten. An Außenständen in lateinamerikanischen Schuldnerländern haben Citicorp 14,9, BankAmerica 6,7 und die Chase Manhattan 6,4 Milliarden Dollar. In große Schwierigkeiten werden auch diejenigen kleineren Regionalbanken geraten, die sich in der Dritten Welt „engagiert“ haben. Ihr „Standing“ dürfte einen Schlag erhalten, und der in den USA ohnehin vorherrschende Konzentrationsprozeß wird einige von ihnen jetzt schneller einbeziehen. Während die japanischen Banken insbesondere durch ihre in letzter Zeit ausgeweitete Kreditvergabepolitik ähnliche Ausgangspositionen wie ihre US–Kollegen haben, sind etwa die bundesdeutschen Banken in der glücklichen Lage, bereits größere Posten „abgeschrieben“ zu haben, die Deutsche Bank beispielsweise mehr als die Hälfte. Die Wertberichtigungspraxis treibt derweil den internationalen Handel mit „faulen“ Forderungen an: Mit gehörigem Abschlag verkaufen die Banken ihre Kreditaußenstände. Als Käufer treten solche Firmen auf, die diese Forderungen dann von den Schuldnerländern in Investitionskapital eintauschen lassen (“debt–equity– swap“). Schätzungen eines US–Investmenthauses für das Volumen dieses Handels für 1987 lauten auf 10 bis 15 Milliarden Dollar. Inwieweit die Banken nach Wertberichtigungen ihre Verhandlungsposition gegenüber den Schuldnerländern bessern konnten, wird sich erst zeigen. Immerhin können die Dritte–Welt–Staaten die Banken durch Zahlungseinstellung nicht mehr so leicht schocken, sie sind besser gewappnet.

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