: Rangelei um gute Plätze: Der Binnenmarkt kommt
■ Europas Konzerne stecken die Claims für 1992 ab / Übernahmefieber von Schweden bis zum Mittelmeer / Gefürchtete Konkurrenz aus der BRD
Bonn (rtr) - Bis 1992 soll der europäische Binnenmarkt nach dem Willen der Politiker geschaffen sein. Große Unternehmen bereiten sich schon jetzt gezielt auf dieses Datum vor. Die Konzerne stecken ihre Claims ab, um vor dem Start des gemeinsamen Marktes 1992 ihre Positionen gesichert zu haben. Auffälligstes Beispiel ist die seit geraumer Zeit um die belgische Societe Generale tobende Übernahmeschlacht. Immerhin, so heißt es in Kreisen der EG in Brüssel, geht es hier um einen Markt mit 320 Millionen Verbrauchern. Selbst die USA und Kanada zusammen mit gut 260 Millionen Konsumenten bieten nicht ein solches Potential. Deshalb kann es auch kaum verwundern, wenn auch Konzerne von außerhalb der EG versuchen, sich schon vorab ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern. Hinzu kommen Befürchtungen, die EG könnte 1992 Schutzmauern aufbauen, um Firmen aus Drittländern den Zugang zu erschweren. Vor diesem Hintergrund ist unter anderem der Einstieg des finnischen Telekommunikationskonzerns Nokia in den Unterhaltungselektronikbereich der deutschen SEL zu sehen. Dazu gehören auch die Cognac–Schlacht, in deren Rahmen der kanadische Spirituosenkonzern Seagram den französischen Cognacbrenner Martell kaufte, oder der Zement–Abschluß der skandinavischen Aker Norcem und Euroc, die sich mit der britischen Castle Cement einen Brückenkopf im europäischen Baustoffhandel geschaffen haben. Mit der Übernahme der Swedish Match hat sich der schwedische Konzern Stora Kopparbergs mehrere Standbeine in der EG zugelegt. Swedish Match ist mit der Herstellung von Einwegfeuerzeugen in Frankreich, aber auch mit Küchenmöbeln, Kunststoffen und Bodenbelägen in Ländern der EG vertreten. Aber auch innerhalb der EG bauen die Firmen ihre Positionen aus. Beispiel ist der Versuch des Olivetti–Chefs, Carlo De Benedetti, die Mehrheit bei der Societe Generale zu erlangen, die große Teile der belgischen Wirtschaft kontrolliert. Zuvor schon hatte sich die italienische Rohstoff– und Agrargruppe Gruppo Ferruzzi mit ihrer französischen Tochter Beghin–Say die Kontrolle über Teile des europäischen Zuckermarktes gesichert. In Frankreich hat das Übernahmefieber selbst die Pariser Börse angesteckt. Mit Spannung wartet man hier vor allem auf den Ausgang des Rennens der Industriegruppe Schneider SA und des Atomkonzerns Framatome um den Hersteller von Industrierobotern, Telemecanique SA. Banken und Versicherungen haben sich ebenfalls von dem Fieber anstecken lassen. So kaufte sich die italienische Assicurazioni Generali bei der französischen Versicherung Cie du Midi ein, die niederländische Amsterdam–Rotterdam Bank NV und die belgische Generale de Banque haben sich kapitalmäßig verflochten, während die dänischen „Privatbanken A/S“ für den Bankensektor mehrere Übernahmen prognostiziert. Prominente weitere Beispiele sind Daimler–Benz, die künftig zum harten Kern der Aktionäre beim französischen Rüstungskonzern Matra gehören wird, der von British Aerospace angestrebte Kauf der Rover–Gruppe, der Einstieg der belgischen Touristikgruppe Wagons–Lits bei Europcar, um gemeinsam mit der Volkswagen AG im Auto–Vermietgeschäft tätig zu werden, oder der Einstieg der deutschen Bosch– Gruppe beim französischen Jeumont–Schneider–Konzern. Französische Industrielle räumen indessen unverblümt ein, sich durch Übernahmen vor allem gegen die starke Konkurrenz aus der Bundesrepublik Deutschland rüsten zu wollen. Bis zur Verwirklichung des Binnenmarktes sind indessen noch zahlreiche Hürden, vom Abbau noch verbliebener Zölle über die Vereinheitlichung von Steuern und Normen bis zu einheitlichen Regeln für Versicherungen und Banken zu überwinden. Beträchtliche Probleme auf diesem Weg zeichnen sich unter anderem auf dem Gebiet der Stromversorgung ab. Während Frankreich seit Jahren darauf hinarbeitet, Steckdose eines geeinten Europas zu werden, verteidigen die deutschen Elektrizitätskonzerne mit Krallen und Klauen ihre seit den dreißiger Jahren gesetzlich festgeschriebenen Monopole.
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