piwik no script img

Rambo am Steuer

Der Mikrokosmos einer Nation: der nicht ganz ironiefreie senegalesische Roadmovie TGV im 3001  ■ Von Malte Hagener

Die Ausgangslage: Eine Reisegruppe durchquert ein von Rebellen kontrolliertes Gebiet. Was die Passagiere anfangs gemein haben, ist nur das Ziel und der Zufall, der sie zusammenführte. Doch Schwierigkeiten und Gefahren rückt die Gruppe, die einen repräsentativen Schnitt der Gesellschaft darstellt, zusammen und bildet eine imaginäre Gemeinschaft – Keimzelle und Mikrokosmos einer Nation.

Solch ein Gründungsmythos ist John Fords klassischer Western Stagecoach aus dem Jahr 1939, und Moussa Tourés senegalesisches Roadmovie TGV-Express lehnt sich deutlich an dieses Vorbild an, ohne es plump zu imitieren. Szene für Szene, von der anfänglichen Militärpräsenz bis zur Flußüberquerung, ließe sich die Ähnlichkeit der Strategien in beiden Filmen durchspielen. Gerade die Beziehung zwischen der Bewegung des Busses und der psychologischen Entfaltung der Figuren, der Wechsel zwischen sozialen und persönlichen Spannungen und äußerer Gefahr rhythmisiert das Geschehen.

Reisen heißt im Kino immer er-fahren. Die räumliche Bewegung von einem Punkt zum anderen zieht auch eine geistige Bewegung nach sich. Wer weiß schon, was hinter der nächsten Ecke, jenseits des nächsten Hügels lauert. Häufig liegen auch die Gefahr und das Abenteuer eher in der inneren Reise, die mit der äußeren einhergeht und manchmal nach Art des Bildungsromans eine psychologische Entwicklung einer einzelnen Figur darstellt oder eine Gruppe und ihre Beziehungen untereinander beleuchtet. Der zweite Fall, um den es hier geht, eignet sich für soziale Kommentare jeder Art und Schöpfungsmythen.

Nun ironisiert TGV aber auch – betrachtet man ihn mit Stagecoach im Hinterkopf – bestimmte Strategien: Ging in Fords Western die Gefahr noch von Indianern aus, die bar jeder Psychologie und Motivation mordend über die Weißen herfallen, so will hier das Volk der Bassari lediglich ihren Totem zurückerhalten, der für westliche Touristen in der Hauptstadt Dakar ausgestellt ist. Logischerweise läßt dann die Busbesatzung am Ende auch die beiden weißen Franzosen als Faustpfand bei den Rebellen mit ihrem medienkompatiblen Anführer zurück: Sollen die doch die Kolonialismus-Suppe auslöffeln, die sie den afrikanischen Staaten eingebrockt haben. Eine zusätzliche Ironie erwächst daraus, daß es sich um einen Geschichtsprofessor und seine Assistentin handelt, die historische Feldzüge im Senegal erkunden wollen. Nicht nur, daß sie mit einer Karte aus dem 18. Jahrhundert völlig orientierungslos durch die Steppe irren und darauf beharren, daß man sich nach ihr orientieren könne, auch interessieren sich die Afrikaner kein bißchen für die Ursprungsmythen, die ihnen jetzt von der westlichen Wissenschaft als intellektueller Kolonialismus serviert werden.

Eine Art der Abhängigkeit besteht nach wie vor in den technischen Belangen der Filmproduktion: Das Kamera- und das Tonteam ist mit Franzosen besetzt, so wie auch ein Teil der Finanzierung aus dem ehemaligen Mutterland stammt. Ausreichend Devisen für gute Ausrüstung sind in Afrika noch immer Mangelware wie auch technische Ausbildungsmöglichkeiten. Schauspielerisch, so beweist TGV eindrucksvoll, ist jedoch eine hervorragende Tradition entstanden.

Und doch inszeniert der Film keineswegs nur einen Kulturkampf der ehemals Unterdrückten gegen die vormals herrschenden Europäer, sondern zeigt auch die komplexe und widersprüchliche Wirklichkeit innerhalb des Soziokosmos der Reisenden. Der Polygamist sitzt neben dem Drogenhändler, der Busfahrer – der geistige Jongleur mit westlichen Versatzstücken nennt sich Rambo und seinen Bus TGV – flirtet mit der alleinreisenden Unbekannten, und ein traditioneller Schamane streitet mit einem fundamentalistischen Marabout über den besseren Regenzauber. Mittendrin steckt der gerade abgesetzte Minister, der auch in dieser Kleingruppe sein sorgfältig einstudiertes Spiel von Parteinahme und Polarisierung nicht sein lassen kann, immer auf dem Sprung zur nächsten Position, zum nächsten Posten; zu gerissen, um wirklich korrupt zu sein, aber auch zu intelligent, um wirklich integer zu sein.

Gerade dadurch, daß sich diese sorgfältig gearbeitete Gesellschaftskomödie Klischees und Voruteile über die afrikanische Gesellschaft zunutze macht, führt sie den Zuschauer gekonnt aufs Glatteis. Denn es kommt immer ein bißchen anders, als man meint zu wissen.

Do, 25. März bis Mi, 7. April, 20.30 Uhr, 3001

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen