: Räuberinnenlatein
■ Neu im Kino 46: Der Dokumentarfilm „Phoolan Devi – Rebellion einer Banditin“
Wenn Legenden entstehen, verlieren sich die realen Personen und Geschehnisse schnell in den kollektiven Phantasien. Mit den vielen Geschichten, Liedern und Filmen verwandelten sich etwa Al Capone, Bonnie und Clyde oder Bill Cody in übermenschliche Fabelwesen und keiner weiß heute mehr, ob Robin Hood wirklich gelebt hat. In dem Dokumantarfilm „Phoolan Devi – Rebellion einer Banditin“ der deutschen Regisseurin Mirjam Quinte kann man die Mechanismen solch einer Legendenbildung wunderbar beobachten.
Die Inderin Phoolan Devi war zu Beginn der 80er Jahre eine sehr erfolgreiche Bandenführerin, die u.a. ein Dorf überfiel, in dem sie in ihrer Jugend vergewaltigt worden war, und dort 18 Männer umbrachte. Nach einigen Jahren stellte sie sich der Polizei und seitdem wartet sie im Gefängniss auf ihren Prozeß. Ihre Geschichte kennt jeder in Indien – viele Spielfilme, Bücher und Moritaten wurden und werden daraus gesponnen. Aber für die reale und enttäuschend unromantische Phoolan Devi interessiert sich kaum noch jemand.
Diese absurde Diskrepanz zwischen der fiktiven und realen Phoolan Devi zeigt die Filmemacherin, indem sie in erster Linie die Beteiligten reden läßt. Eine der vielen vornehmen Schauspielerinnen, die die Bandenchefin gespielt haben, erzählt in bestem Brahmanenenglisch, wie sie deren Wut in sich spürte, und vor der Kamera tatsächlich ihre männlichen Opfer auspeitschte. Der realen Poolan Devi würde sie wahrscheinlich nicht einmal die Hand geben. Taschenbuchautoren, Journalisten und ein Filmproduzent erzählen ihrer medienwirksamen Versionen der Geschichte; für die Straßenarbeiterinnen aus den niedrigeren Kasten ist Phoolan ein Verkörperung der strafenden Göttin Kali; und die Mitglieder ihrer Bande verzapfen ein wildes Räuberlatein.
Nur wenige Kilometer entfernt von dem Gefängnis, in dem Poolan Devi sitzt, wird ein weiterer Spielfilm über sie gedreht, und es gibt keinerlei Berührungspunkte zwischen beiden mehr. Mit solchen Pointen ist der Film gespickt und wenn Mirjam Quinte nicht auch noch versucht hätte, eine allzu dick aufgetragene feministische Botschaft mit dem Film zu vermitteln, wäre er durchweg gelungen. Aber so gibt es zuviele betroffene Kommentare aus dem Off und immer wieder die gleichen Zwischenschnite auf ein armes indisches Mädchen mit ihrer Ziegenherde.
Ein viel stärkeres feministisches Statement ist das Interview mit Poolan Devi selber: Wenn sie mit sichtlichem Vergnügen erzählt, wie sie den Ehemann, der sie schlecht behandelte, vor dem ganzen Dorf demütigte, verprügelte und gefesselt auf einem Esel reiten ließ - dann bekommt man eine Ahnung davon, warum diese Frau einmal eine Bande von wilden Banditen anführen konnte. Aus dieser Energie können Legenden entstehen.
Wilfried Hippen
Kino 46 , Waller Heerstr. 46, Sa. bis Di., täglich 18.30 Uhr
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