: Rächer der Rentner
■ Hamburgs Polizei jagt drei Tage lang die Bestie Zweirad in der Innenstadt / Rasende Rüpel werden verwarnt
Über dem Rathaus strahlt ein stahlblauer Himmel, wolkenweiß durchsetzt, während sich amerikanische Tourist-Groups unbekümmert umsehen. Derweil macht sich Hamburgs Polizei Sorgen. Nein, nicht um ihren alten Führer Hackmann, sondern um Opfer des Verkehrs; gestern, heute und morgen speziell um Opfer der Bestie Zweirad. Deshalb wollen sie – ganz Freund und Helfer – aufklären und verhindern.
Die schmucken Uniformen der Helfer sind in der Spitaler Straße schon von weitem zu sehen. Gerade komplimentieren zwei Freunde eine Frau vom Rad. Sie schiebt schmollend weiter. Ihr Gefährt besaß zwar Licht, Klingel und zwei Pedale, aber – in den Zombie-Zonen des Konsums wird nicht gerast, sondern geschritten. Schließlich soll man ja in die Auslagen gucken. Ein naiv dreinschauender Dreißiger, gerade in einer Einbahnstraße von den Erfüllungsgehilfen des Rechts ermahnt worden, „nicht entgegengesetzt zu fahren“, behauptet prompt: „Ich merk' mir das.“ Auf dem Jungfern-Gehweg kontert ein nadelgestreifter Geschäftsmann in Hektik nur knapp mit einem „Jaja“. Die beiden Rächer der Rentner schlendern breitbeinig weiter. Wenn diese Arbeit getan ist, wollen die zwei Polizeimeister endlich wieder „Verbrecher jagen“.
Insgesamt streunen zwanzig Beamte, ihr weißes Polizisten-Deckelchen auf dem Kopf, zu zweit in ihrem „Innenstadt-Bereich“ herum und belästigen fröhlich Radfahrende mit belehrenden Worten: Man solle niemals ohne „funktionierende Lichtanlage“ das Haus verlassen, keine rote Ampel übersehen und auch keine Fußgänger erschrecken. Ein getarnter Trupp Polizisten hat gar eine Videokamera dabei, um die zweirädrigen Schrecken der City bei ihren Verbrechen zu filmen.
Polizeisprecher Hans-Jürgen Petersen, mit vor Ort, erklärt den Einsatz zwischen Rathausmarkt, Gänsemarkt und Spitaler Straße so: Er wolle „auf die Problematik hinweisen und das Gespräch suchen“. Damit meint er eigentlich das Problem, das alle FahrradfahrerInnen in Hamburg kennen – Fahrradwege fehlen oft, die Straße ist wegen der rabiaten AutofahrerInnen zu gefährlich, die Gehwege sind mit erbost-bockigen FußgängerInnen verstopft. Aber Hauptkommissar Petersen verweist auf die Straßenverkehrsordnung. Die besagt im übrigen auch, Fahrradfahren ohne Klingel ist nicht erlaubt! Und freihändig Fahren schon gar nicht!
Die Aktion der Polizeidirektion Mitte stößt zwar nicht auf massiven Widerstand, aber auch nicht auf Verständnis. Besonders die berufsmäßigen RadlerInnen der Kurier-Dienste sind sauer. Sie treffen sich oft auf dem Rathausmarkt und warten auf ihre Aufträge, die sie über das Funkgerät mitgeteilt bekommen. „Wo sollen wir denn fahren?“ fragt sich Burkhard, „das ist doch die totale Einschränkung für uns.“
Gezielte Stimmungsmache gegen Fahrradfahrende vermuten auch seine Kollegen: „Viele nehmen so eine Polizeiaktion als Freibrief, uns anzupöbeln.“ Burkhard zieht eine an ihn adressierte Karte aus seinem Rucksack. Unter einem aufgeklebten Zeitungsausschnitt, der im vergangenen Jahr 52 Verletzte bei Fahrrad-Unfällen angibt und die radelnde Pest zum Teufel wünscht, steht in großen, handgeschriebenen Buchstaben: „JAWOLL, Recht und Ordnung muß sein!“ Greta Eck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen