: Radio FREI — Erfurt 100,5 MHz
■ Nichtkommerziell, lokal, bürgernah will Erfurter Bürgerradio die Legalität bekommen/ Status noch ungeklärt
Erfurt (taz) — Der Sender, der jeden Mittwoch ab 21 Uhr auf 100,5 Megahertz in und um Erfurt zu hören ist, steht in keiner Programmzeitschrift. Er ist kein öffentlich-rechtlicher und kein kommerziell-privater. Seinen Status sehen deutsche Gesetze nicht vor. Ein Piratensender? Tilo Sankowski, 22jähriger Lehrerstudent, wehrt ab: „Wir lassen uns nicht kriminalisieren. Wir berufen uns auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, auf das Recht zur freien Meinungsäußerung.“ Und Carsten Rose: „Es ist nicht erlaubt und nicht verboten. In Thüringen gibt es noch kein Mediengesetz.“
Der vierundzwanzigjährige Psychiatriepfleger ist von Anfang an dabei. Als sich nach dem heißen Herbst 1989 Bürgerbewegungen und runde Tische auf Plätzen und in Zeitungen Gehör verschafft hatten, fragten sich Carsten und seine FreundInnen: Warum das nicht über das Medium Rundfunk versuchen? Im Sommer 1990 nahm für eine Gruppe Erfurter BürgerbewegerInnen die fast utopische Idee Formen an: Vom Ersten Europäischen Bürgerforum in die französische Provence eingeladen, erlebte und produzierte sie dort nichtkommerzielles, freies Bürgerradio.
Zurück in Erfurt ging es dank materieller und moralischer Unterstützung der Europäischen Förderation Freier Radios (FERL) ziemlich schnell zur Sache: Nach einer Testsendung noch im September 1990 lief am 6. Oktober die sechsstündige Live-Premiere über den Sender. Wenig später begann Radio FREI — Freier Rundfunk Erfurt International — mit einem einstündigen Sendebetrieb. Nach dreizehn Sendungen allerdings klopfte die Bundespost am Studio an und auf ihre Rundfunkhoheit, drohte bei Nichteinstellung des Radios mit polizeilichen Schritten.
Da es die Bürgerradio-AktivistInnen nicht auf eine Kraftprobe ankommen lassen wollten, unterbrachen sie ihr Radioprogramm. Jetzt geht die ganze Energie drauf, um Radio FREI über die Instanzenhürden hinweg zu legalisieren. „Unsere beantragte Vereinsanmeldung ist abgelehnt worden. Rundfunk, so bedeutete man uns, sei ein Wirtschaftsunternehmen und somit nicht gemeinnützig. Das ist genau das Gegenteil unseres Anliegens. Wir haben jetzt unser Vereinsstatut noch eindeutiger formuliert und machen in den nächsten Tagen einen neuerlichen Registrierungsversuch.“ Tilo berichtet, daß die Bürgerradio-MacherInnen Unterstützung von Landtagsabgeordneten zugesagt bekommen haben.
„Als der Golfkrieg losging, hatten wir durch unsere selbstverordnete Funkstille heftige Bauchschmerzen. Wir konnten senden und hatten die moralische Pflicht, unsere Meinung zu sagen.“ Seitdem ist Radio FREI wieder auf Sendung, berichtete von Antikriegsaktionen in Erfurt, Mahnwachen, Friedensandachten, Ausstellungen etc. Da die Post — wenn schon nicht auf Einvernehmen — wenigstens auf Gewährenlassen eingegangen zu sein scheint, ist die wöchentliche Mittwochsendung mittlerweile wieder zur Regel geworden.
Um dem selbstgestellten Anspruch, ein Bürgerradio zu sein, gerecht zu werden, hofft Carsten auf die Offenheit und die Zivilcourage der Hörer. „Radio machen ist gar nicht so schwer. Wir sind offen für alle Probleme und Meinungen, ausgenommen Rassismus und Militarismus.“ Matthias Opatz
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