: RUND UM DIE BEROLINA
■ 'Merian‘, das „Monatsheft der Städte und Landschaften“, über die Ost-West-Metropole Berlin
Reiseführer und Porträts der siamesischen Stadt sind mittlerweile Legion - die 750-Jahr-Feier 1987 hat die Berlin -Buchproduktion kräftig angeheizt. Alles ist beackert und beleuchtet worden; der längst fällige Bildband über Pissoirs fehlt ebensowenig wie die Chronik der Gaslaternen. Im Jahre zwei danach kommt 'Merian‘, das „Monatsheft der Städte und Landschaften“, mit seinem neuen Berlin-Produkt auf den Zeitschriftenmarkt. „Eye-catcher“ des Titelblattes ist, wie schon im alten Heft, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Ein jung-dynamischer Skateboardfahrer segelt vor dem Gotteshaus durch die Luft, während in der alten Ausgabe noch der Ostberliner Fernsehturm im Hintergrund in den Gesamtberliner Himmel ragte.
Locker-flockig soll ein Magazinteil ans ernste Thema der geteilten Ost-West-Metropole heranführen. Ein Kleines Berliner Wörterbuch gerät hingegen zur Mottenkiste: von A wie „sich abäschern sich sehr bemühen“ bis Z wie „Zwickel Zwei-Mark-Stück“ will es den Wessis das Berliner Idiom nahebringen. Kein Eingeborener, selbst der Leierkastenmann auf dem Ku'damm nicht, sagt „fliegende Untertasse“ zur vorbeihuschenden Nonne und „Gewitterflinte“ zur Regenkapuze. X-te Auflage des alten Klischees der Berliner Schnauze.
Selbstverständlich darf der obligatorische Kreuzberg -Artikel nicht fehlen. Der Sieg des Wurstsalats ist er betitelt und handelt von den Autonomen, die in Kreuzberg Kiezpolizei spielen. Einige Autonome, denen das Schicki -Micki-Restaurant „Maxwell“ („beurre blanc a l'estragon“) nicht in den Kreuzberger Kram paßte, drangsalierten das Betreiberpaar Bitomsky solange, zuletzt in der „Kübelaktion“ mit drei Eimern Scheiße, daß es entnervt aufgab und Kreuzberg verließ. Was die kosmopolitische Autorin Jane Kramer, mit Wohnsitz in Paris und New York, in ihrem Artikel verzapft hat, ist eine pathetische Rührstory aus dem Blickwinkel des betroffenen Paares Bitomsky, die auf keine Kuhhaut geht. Ellenlang, auf elf Textseiten, wird in diesem „Dossier“ reportagehaft „Zwille sein Miljöh“ (taz vom 8.7.89) nachgezeichnet. Ungenau in den Begriffen („Stadtindianer“, „Autonomen-Fabrik“), salbungsvoll im Stil, reduziert in der Sichtweise. Denn genausowenig wie nur Kreuzberger Nächte lang sind, haben militante Autonome nun das Oberkommando über Kreuzberg übernommen.
Geradezu ein Lichtblick dagegen, kenntnisreich geschrieben und bunt bebildert, sind Eberhard Roters Bilder vom Leben im steinernen Meer. Die Großstadt Berlin als Thema der bildenden Kunst. Hätte John F. Kennedy im Juni 1963 „Ich bin ein Westberliner“ vom Rathausbalkon in Schöneberg gerufen, so Günter Gaus in seinem Essay, hätte das wie ein „deus ex machina“ gewirkt, wäre der West-Ost-Pragmatismus eher eingekehrt. Von SPD-Handlanger Günter Grass erfahren wir in einem Gespräch mit seinem Ostberliner Literaturkollegen Günter de Bruyn, was er als Westberliner Bürgermeister anders machte: „Ich würde die Übernahme von Bundesgesetzen zur Debatte stellen, und ich würde beim Kartellamt die Entflechtung des Springer-Konzerns betreiben.“
Die bildlichen Ansichten von Ost-West-Berlin sind durchwachsen, der Infoteil (Anreise, Nachtleben, Theater, Museen, Kneipen, Film, Sport) ordentlich, obwohl 22 Zeilen Berlin für Kinder keine Offenbarung sind; man erfährt zwar, wo man sich in Berlin bettet (am besten im Ostberliner Grand-Hotel), aber nicht, wie man sich mit Verkehrsmitteln bewegt. Ebenfalls fehlt das „Berlin der Ausländer“. Bei Drucklegung des Heftes war der Übergang West-Berlins in das Stadium der „multikulturellen Gesellschaft“ wohl noch nicht ausgebrochen.
Die Autorenschaft, vom staatstragenden Günter Gaus bis zum taz-Sportredakteur Thömmes, sowie das modernisierte Layout zeigt den Aufbruchwillen des Blattmachers Bissinger, die bieder-betuliche Intellektuellenschrift zur umfassenden Kultur-Zeitschrift mit Zeitgeist-Einsprengseln aufzumöbeln. Doch 'GEO‘, das durchgestylte Konkurrenzblatt, ist noch meilenweit voraus. Hans Rosenthal würde beim Durchblättern des 'Merian‘ Berlin keine „Das ist Spitze!„-Luftsprünge machen.
Günter Ermlich
'Merian‘ Berlin, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1989. 204 S., 12,80 DM
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