RECHT Späte Aufarbeitung des Schmiergeldskandals rund um die deutsche Industrie-Ikone. In Athen sind 64 Personen angeklagt: Siemens vor Gericht
aus Athen Jannis Papadimitriou
Angeklagt sind insgesamt 64 Personen – unter ihnen der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer, der einstige Griechenland-Chef Michalis Christoforakos, sowie Theodoros Tsoukatos, früher die rechte Hand des sozialistischen Regierungschefs Kostas Simitis. Und bislang der einzige politische Akteur, der zugibt, Schmiergeld von Siemens bekommen zu haben – allerdings nicht zu seiner persönlichen Bereicherung, sondern um die Parteikasse aufzubessern. Eine Million D-Mark soll es im Jahr 1999 gewesen sein. Diese Art der „Finanzierung“ sei von ihm lediglich „geerbt und nicht erfunden“ worden, sagte Tsoukatos den Ermittlern in Griechenland.
Es ist eine späte Wiederaufarbeitung des Schmiergeldskandals, der die deutsche Industrie-Ikone Siemens vor acht Jahren erschütterte. Einige Monate nachdem der Skandal 2007 durch eine Razzia in der Münchner Firmenzentrale bekannt geworden war, trat „Mr. Siemens“ von Pierer als Chefaufseher des Unternehmens zurück.
Insgesamt geht es um 70 Millionen Euro Schmiergeld. Doch der Auftakt zu einem der größten Wirtschaftsprozesse in der Geschichte Griechenlands am Freitag in Athen wäre fast gescheitert. Wie an jedem Tag seit Monaten legten zunächst Gerichtsmitarbeiter aus Protest gegen ihre niedrige Bezahlung für zwei Stunden die Arbeit nieder. Da der Prozess auf der Tagesordnung erst an zweiter Stelle stand, war zunächst fraglich, ob es noch zur Eröffnung kommt.
Gegenstand des „Jahrhundertprozesses“ ist ein Vertrag über die Digitalisierung des Telefonnetzes in Hellas – abgeschlossen im Jahr 1997 zwischen Siemens und der damals staatlichen griechischen Telefongesellschaft OTE. Acht Jahre dauerten die Ermittlungen der Athener Staatsanwaltschaft.
Am Freitag erschienen nur 30 der 64 Angeklagten vor Gericht. Anwesend waren Tsoukatos, die ehemalige Chefsekretärin von Griechenland-Chef Christoforakos sowie der Schweizer Bankier Jean-Claude Oswald, der seit April in Untersuchungshaft sitzt. Keiner der deutschen Angeklagten war dabei.
Allerdings: Kurz nach Beginn wurde der Prozess unterbrochen und auf den 15. Dezember vertagt. Denn die Verfahrensmodalitäten sind umstritten, Vertreter der Angeklagten rügten sie. Griechische Medien rügten die schlechte Vorbereitung des Verfahrens. Zum einen wurde die 4.592 Seiten umfassende Klageschrift noch nicht ins Deutsche übersetzt, da niemand die dafür erforderlichen 90.000 Euro aufbringen konnte. Ein Übersetzer für einen französischen Angeklagten fehlte, der zugewiesene Gerichtssaal war einfach viel zu klein. Er bot kaum Platz für die Angeklagten und ihre insgesamt 200 Verteidiger.
Als „Siemens-Fall“ wird das Verfahren in Athener Medien oft zitiert – und das, obwohl sich die Anklage nicht gegen den Konzern als juristische Person richtet. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, da Siemens im Jahr 2012 mit dem damals regierenden konservativen Premier Antonis Samaras einen Vergleich abgeschlossen hat, der Schadenersatzansprüchen einen Riegel vorschiebt.
Dafür verpflichtet sich der Konzern, bis 2017 hundert Millionen Euro in seine griechische Tochterfirma zu investieren. Außerdem sollen Antikorruptions- und Jugendprojekte in Hellas finanziert werden. Der Deal ist nicht unumstritten: Derzeit prüft der Oberste Verwaltungsgerichtshof in Athen die Rechtmäßigkeit des Vergleichsvertrags mit Siemens.
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