: Quting vonschwulen Promis...
■ ...der Skandal der Presse - oder - wie aufgeklärt ist unsere Gesellschaft? / betr.: "Outen ja, aber nicht hier und nicht heute" (Kraushaar), "Treten wir gemeinsam aus dem Versteck"..., taz v om 18.12.91
...der Skandal der Presse — oder — wie aufgeklärt ist unsere Gesellschaft?
betr.: „Outen ja, aber nicht hier und nicht heute“ (Kraushaar), „Treten wir gemeinsam aus dem Versteck“ (Roggenkamp),
taz vom 18.12.91
Diese unsere bundesrepublikanische Gesellschaft hat den Anspruch, eine aufgeklärte zu sein; deshalb hat sie Abschied genommen von der Moral der Kirchen, die Homosexuelle bis ins 18.Jahrhundert als vom Satan besessene verbrennen ließ auf dem Scheiterhaufen; deshalb hat sie Abschied genommen von der diktatorischen Einheitsgesellschaft und bildete eine pluralistische Demokratie; deshalb hat sie Abschied genommen von der Irrlehre, die glaubt, daß Homosexualität eine Krankheit sei; deshalb verurteilt sie auch den lange verschwiegenen Massenmord an Homosexuellen durch die deutschen Faschisten in den KZs bis 1945 (leider ohne die Überlebenden bisher zu entschädigen!); deshalb erkennt sie endlich die Tatsache an, daß Homosexualität eine gesunde Variante der Sexualität ist; deshalb schickt sie sich endlich an, die Forderungen der Lesben- und Schwulenorganisationen zu verstehen und zu akzeptieren und uns die gleichen Rechte einzuräumen wie Heterosexuellen.
Weshalb sollte es da eine Diskriminierung oder gar Verrat sein, wie es die Presse in den letzten Tagen behauptet, wenn ein Schwuler von einem anderen sagt, der sei auch schwul. Niemand käme auf die Idee von Diskriminierung zu sprechen, wenn Eberhard Diepgen von Walter Momper behaupten würde, der sei heterosexuell und damit Opfer von Verrat!
Aufklärung gegen Irrlehren, schmierige Moral und eine scheinheterosexuelle Welt braucht Mut für Offenheit und Courage, deshalb outing als Anstoß zum Nachdenken über Aufklärung! Sich als Schwuler heute zu verleumden ist unnötig und hat den bitteren Beigeschmack der Feigheit. Der Fall Praunheim ist ein Fall der Presse, die mitverantwortlich ist für eine aufgeklärte Gesellschaft. Bernd Stürzenberger, Berliner Schwulen-Verband e.V.
Ich hatte bisher immer gedacht, ein wichtiges Ziel der Schwulenbewegung sei eine selbstbestimmte sexuelle Identität. In der Diskussion für und wider Outing in Deutschland wird deutlich, daß sie sich selber dabei schwer tut. Warum überläßt man es nicht jedem selbst, seine sexuelle Identität und den Umgang damit zu finden? Nein, die lauten Aktivisten der Schwulenbewegung maßen sich an, anderen vorzuschreiben, wie sie sich zu verhalten haben, um kein Klischee verlegen. Was geht es meine Arbeitskollegen an, ob ich bisexuell bin oder wie auch immer? Sie reden ja auch nicht mit mir über ihre Sexualität, über das, was sie im Bett machen und ob sie eine/n LiebhaberIn haben.
Die Intoleranz weiter Kreise der Schwulenbewegung wird deutlich an ihrem Umgang mit Bisexuellen. So läßt Rosa von Praunheim auf dem „Heißen Stuhl“ den Namen Johannes Rau fallen. Jeder weiß, daß Johannes Rau verheiratet ist. Praunheim deutet an, daß Rau möglicherweise schwul ist, es aber nicht öffentich zeigt, ja die „Sünde“ begeht, sich hinter der Fassade einer Ehe zu verstecken. Hat er je mit ihm gesprochen? Woher weiß er, ob Rau nicht vielleicht bisexuell ist? Ich denke, wenn schwule Männer andere Männer als schwul denunzieren, sich das ebenso kontraproduktiv auswirkt, wie andere Rituale der Schwulenbewegung, wie zum Beispiel in der Tunte den Gipfel der Emanzipation zu sehen. Etwas weniger Selbstmitleid und Dogmatismus und dafür mehr Bewußtsein für die Vielfalt der Ausdrucksformen menschlicher Identitäten, auch abseits der sexuellen Identität, dürften der Schwulenbewegung erleichtern, mehr Menschen als bisher zu erreichen. Jens Klump,
Freiburg im Breisgau
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