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Quotierung öffnet Kasten der Pandora

■ Jobreservierung für benachteiligte Kasten bringt indische Regierung Singh ins Wanken

Neu Delhi (dpa) — Die seit Wochen andauernden Studentenproteste in Indien haben auch gestern Tote und zum Teil lebensgefährlich Verletzte gefordert. Die Studenten waren erneut auf die Straße gegangen, um gegen ein „Job-Reservierungsprogramm“ für benachteiligte Kasten und Klassen der indischen Gesellschaft zu protestieren.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Hilfsprogramm für die Hunderte von Millionen bettelarmer Inder, ist bei näherem Hinsehen ein Wiederaufleben des vielkritisierten Hindu-Kastensystems. Mitglieder der Arbeiter- und Bauernkaste verlangten schon bald nach der indischen Unabhängigkeit einen sicheren Anteil an Regierungsstellen. Hinzu kamen — obwohl die indische Verfassung keine Kasten und keine „Unberührbaren“ kennt — reservierte Jobs für Unberührbare und für Stammesgesellschaften. Ihnen allen waren bislang 22 Prozent der Staatsstellen vorbehalten.

Anfang August kündigte der in innenpolitische Bedrängnis geratene Premierminister Vishwanath Pratap Singh nun zusätzliche Jobreservierungen von 27,5 Prozent an, womit fast die Hälfte aller öffentlichen Stellen den sogenannten „zurückgebliebenen Klassen“ reserviert würde.

Basis des Singh-Programms ist ein obskurer Report, den ein Politiker namens Mandal schon Anfang der achtziger Jahre vorlegte. Mandals Berechnungen, wer zu welcher Kaste gehörte und wie dies zu verifizieren sei, waren der damaligen Kongreß-Regierung der Gandhis schon unheimlich: Still und leise versank der Report in den Schubladen.

Singh hat ihn nun wieder hervorgekramt. Was aber zur Erschließung eines riesigen Wählerpotentials gedacht war, entpuppte sich kurz darauf als Büchse der Pandora: Moslems, Christen, zu Nicht-Hindu-Religionen konvertierte Unberührbare, bislang kaum beachtete Gruppen und Untergruppen der im immer brutaler werdenden indischen Verteilungskampf zu kurz kommenden — sie alle verlangen, daß ihnen Stellen reserviert werden. Das renommierte indische Magazin 'India Today‘ sprach bereits von „Apartheid auf indisch“.

Speerspitze der „Anti-Reservation-Agitation“ sind jedoch die Studenten. Doch die „Kinder“, wie die vielfach wohlhabenden Schichten entstammenden Studenten in Delhi genannt werden, betreiben keineswegs einen linksideologisch inspirierten Barrikadenkampf. Sie fürchten höchst eigennützig um ihre Berufschancen in einem dichter werdenden Bewerberfeld.

Inzwischen hat sich das Blatt gegen Premier Singh gewendet. Die über die Kongreßpartei der Gandhis enttäuschte Mittelschicht, der er im vergangenen November den Wahlsieg verdankte, stellt sich zusehends gegen ihn. Nun hat auch noch die fundamentalistische Hindupartei BJP der Minderheitsregierung Singhs die Unterstützung entzogen. BJP und Kongreßpartei bereiten sich auf Neuwahlen vor.

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