: Querspalte
■ Neosozialismus
Nein, auch Sie gehören nicht zu den Millionenerben. Jener Spezies, die unter der Seelenbürde des väterlicherseits Erworbenen ächzt und die Materie häppchenweise an ihren Analytiker weiterreicht (150 Mark die Stunde), auf dass der Jungianer angesichts der „Versuchungs“- und „Versagungs“-Situation des Erbnehmers das nötige Mitgefühl zeige, ohne seinen eigenen Neid zu verraten. Die Schuldgefühle, nicht Ihr Problem. Sie wollen Ihre erste Million nicht ererben, sondern erwerben. Und werfen deshalb einen Blick in die Werbezeitung der Deutschen Bank 24 oder kaufen Bizz, das etwas neue Magazin über Job-Geld-Leben: „Der schnellste Weg zur ersten Million“. Für jeden. Aber das ist doch ..., genau, Neosozialismus!
„Jeder träumt davon, Millionär zu werden. Und jeder kann es schaffen“, predigen die Bizzer. 500 Mark im Monat braucht's dazu für die Bizz-Leser, bei der Deutschen Bank 24 sogar nur 422 Mark. Billiger ist die Revolution kaum zu haben. Der Bizz-Fünf-Punkte-Plan flutscht in Echtzeit rein ins Hirn: 1. Glauben Sie an sich (jaja!). 2. Im Monat genügen 500 Mark (gebongt). 3. Geduld zahlt sich aus. 4. Erwerben Sie Aktien. 5. Kaufen Sie Fondsanteile. Zwölf Prozent Wertzuwachs jährlich, nach 26 Jahren sind Sie Millionär. Wie machen Sie 500 Mark im Monat locker? Wechseln Sie die Krankenkasse, kündigen Sie Ihre Lebensversicherung, Ihren Sparvertrag, rät das Magazin.
Vorbei die Zeiten, wo Möchtegern-Millionäre Panzer knackten, heimlich im Keller Falschgeld druckten oder sich das Urlaubsgeld in Lire auszahlen ließen. In jedem von uns steckt ein Dagobert Duck. Mit komplizierten Rechnungen über abstürzende Aktienkurse, Inflationsverluste und ähnlichem Krimskrams behelligen uns daher die Schnellbanker nicht. Das große Ganze zählt. Die Revolution der Million. Wenn es mal nicht so klappt mit den Aktienkursen, denken Sie an den eisernen Grundsatz der Börse: Ihr Geld ist nicht futsch, es hat nur ein anderer. Wie im Sozialismus eben. War doch vom Grundsatz her eine schöne Sache. Barbara Dribbusch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen