■ Querspalte: Gott ist eine Quote
Liebe Kirchen, so geht es wirklich nicht. Erst kommt Ihr katholischerseits im Oktober mit der fragenden Tagung „Fernsehshows – die neuen Liturgien?“ daher, in der von TV-Zivilreligion die Rede war und von „neuer Medienreligiosität“. Und jetzt schreibt ein evangelischer Kollege in Heidelberg seine Doktorarbeit, in der er die immergleiche Form der Sendungen als „zentrales Ritual“ der modernen Gesellschaft deutet und das Dauergucken als gar „unendliche Liturgie“.
Aber: Das ist doch wirklich nicht neu. Habt ihr denn den Glotzen-Götzen nie gelauscht? Jede Show ist ein Gottesdienst der Moderne, zelebriert von den Hohepriestern der Mattscheibe. Von der Kanzel ihres Bühnenhochaltars erklärt sich die himmlische M. Schreinemakers „dem Bodenpersonal Gottes“ zugehörig, Jürgen von der Lippe hält „Entertainer und Seelsorger für artverwandte Berufe“. Fliege konvertierte ohnehin aus der Normalkirche, Lippe wollte mal Priester werden, eine Ilona läßt sich gleich „Christen“ nennen. „Gottschalk“ heißt mittelhochdeutsch: „Der Gottesdiener“. Über allen thront nur der Eine: Gott Quote.
Sehet Euch nur den TV-Show-Tourismus an. Hundertausende Gläubige pilgern jedes Jahr, Wallfahrern gleich, in die Studios, um dort, Hand in Hand als Nahsehende, von Klatschdiakonen angepeitscht, wie eifrige Messdiener tosende Halleluja-Choräle erschallen zu lassen. Zu Ehren des Heiligen Johannes („Hans Meiser“) oder der Ritualhochzeiterin Santa Linda (de Mol, „die Sanfte“), die, einer Himmelsbotin gleich, ihre Studiotreppe herabschwebt. Ja, in diesen Tempeln wird immer wieder alles gut: täglich der Jüngste Tag, das ist konkurrenzlos verlockend.
Kirchenmenschen, Zuspäterwachte, leset Eure eigene Bibel. Schon der Evangelist Johannes wußte unter 20,29: „Selig sind, die fernsehen und doch glauben.“ Und gebetet wird seit jeher: TV Unser im Äther, geheiligt werde dein Programm, dein Bild komme, deine Werbung laufe. Bernd Müllender
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