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Querspalte

■ Jieper auf Mitleid

Neulich laufe ich am Hauptquartier der Heilsarmee vorbei, die mit einem fetten Graffito an der Wand für sich wirbt: „Jesus lebt“. Plötzlich stürzen zwei verlotterte Gestalten aus der Tür auf mich zu: „Haste ma 'ne Kippe?“ Jesus lebt, aber raucht offensichtlich nicht. Den beiden springt der Jieper auf eine Gufte aus den Augen. In den Fängen der Christen und nicht einmal was zu rauchen, das muß die schlimmste aller Höllenstrafen sein. Mitleid beschleicht mich. Einmal etwas Gutes tun, zuckt meine Hand schon zum Päckchen. Aber, Moment. Ist Mitleid nicht das widerlichste aller moralischen Gefühle, mit dem die Christen uns seit 2000 Jahren strafen? Erst das Elend dieser Welt schaffen, dann Mitleid bei den Besitzenden wecken und schließlich karitative Drecksbanden im Namen der Fürsorge aussenden, damit die eigene Seele gerettet wird und auf Erden alles beim alten bleibt. Brot für die Welt, aber nicht mal Kippen für die Zausel im eigenen Haus. „Gutes tun, Gutes tun“, summt es mir durch den Kopf.

Aber selbst, wenn ich jetzt eine schlechte Tat begehe, droht das Paradies. Denn clever, wie sie sind, haben sich Evangelen und Katholen gerade in einer ihrer wesentlichen Streitfragen geeinigt: Um in den Himmel zu kommen, muß man nicht mehr unbedingt eine gute Tat tun. Prompt stürzt am nächsten Tag der Papst und schlägt mit dem Kopf so heftig auf, daß er genäht werden muß und die Ärzte auf Abbruch seiner Polenreise drängen. „Ich werde eine Ewigkeit Zeit haben, um auszuruhen“, winkt der alte Mann ab. Erst wird man zwangsweise in den Himmel befördert, und dann sitzt man ewig mit der polnischen Kartoffel zusammen da. Kann man daran nicht drehen?

Das Raucherpärchen bekam, wie verlangt, eine Zigarette, aber kein Feuer. Ein teuflisch gutes Gefühl. Michael Ringel

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