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■ Der Wähler hat ein Vermittlungsproblem

Zu den größten Irrtümern unserer Zeit zählt das Vermittlungsproblem. Unser Kanzler, wird boshaft behauptet, könne seine politischen Ziele dem Wähler nicht vermitteln. Unser Kanzler! Nicht vermitteln! Lüge!

Schon wer ihn ansieht, weiß alles: ernsthafte Betroffenheit auf der zerfurchten Stirn, große Sorge in seinen stahlblauen Augen. Sieht so einer mit einem Vermittlungsproblem aus? Natürlich nicht. Und er vermittelt doch. Dass die Renten wieder steigen werden, irgendwann. Dass die Arbeitslosigkeit wieder sinken wird, irgendwann. Dass SPD-Grundsätze wieder gelten werden, irgendwann. Und in Vermittlung steckt darüber hinaus auch ein Wortkern: Mitte, was man wohlwollend auch als neue Mitte interpretieren kann. Also, das ist doch alles nicht unvermittelt, sondern total vermittelt.

In Wahrheit hat der Wähler ein Vermittlungsproblem. Zunächst einmal vermittelt er Unwillen. Er wählt die völlig vermittelte SPD einfach nicht. Wie soll diese bedauernswerte Partei und der Kanzler, bei dem – und daran ist der Wähler schuld! – bereits hässliche Tränensäcke zu erkennen sind, wissen, was der Wähler vermitteln will? Unverschämtes Hinwenden zur CDU kann man dann nur noch mit Kürzung des Arbeitslosengeldes quittieren. Da hat der Wähler mit seinem Vermittlungsproblem selber Schuld. Eigentlich müsste man auch die Steuerentlastung für Arbeitnehmer zurücknehmen. Der unvermittelte Wähler hat sie einfach nicht verdient.

Inzwischen ließ auch der Kanzler in seiner nicht körperlichen, aber immerhin charakterlichen Größe seine Bereitschaft erkennen, dem Wähler noch eine Chance zu geben. Etwa am nächsten Sonntag in Berlin, an dem sie endlich erkennen könnten, dass alle Herzen links schlagen – außer bei denen, die es noch nicht gemerkt haben. Silke Mertins

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