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■ Wenden will gelernt sein

Der Skandal ist ungeheuerlich. Zehn Jahre nachdem „DDR“-Bürger dem verhassten Unrechtsstaat endlich ein Ende bereiteten, zehn Jahre nachdem die Deutschen endlich die schmerzliche Teilung ihres geliebten Vaterlandes überwanden – da führen Staatsmänner und demokratisch gewählte Politiker immer noch das Vokabular der SED-Verbrecher und Mauermörder aus Politbüro und ZK im Munde. George Bush schwadroniert im Reichstag, „damals wendeten die Fluten der Geschichte“. Unser Bundeskanzler dankt Helmut Kohl für seine Verdienste um die „Wende“. Und sogar der spricht nur von der „Wende“.

Dabei stammt das Wort von einem, der erst vor wenigen Tagen für die Schüsse an der Mauer verurteilt wurde. „Mit dem heutigen Tag werden wir eine Wende einleiten“, trug ausgerechnet Egon Krenz am 17. Oktober 1989 seinen Genossen im ZK vor. Obwohl er in den drei Monaten als Staats-, Regierungs- und Parteichef mit seinem Staat und seiner Partei wahrlich eine Menge Ärger hatte, fand Egon Krenz noch Muße, einen Begriff für den Untergang der DDR zu prägen. Bürgerrechtler hatten vorher „Reformen“ gefordert oder erinnern sich an die„friedliche Revolution“. Deutschland feiert „10 Jahre Wende“.

Krenz verlor 1989 alles, nur nicht die Definitionshoheit. Doch auch um die steht es mittlerweile schlecht. Egon Krenz' notorische Versuche, die Begriffe „Siegerjustiz“ und „Klassenjustiz“ im allgemeinen Sprachgebrauch zu etablieren, waren erfolglos. Auch als Autor zweier Bücher (natürlich über die Wende) setzte der alt gewordene FDJler keine sprachlichen Maßstäbe. Und während Kohl, Gorbi und Co. den Jahrestag der „Wende“ feiern, muss Krenz nun ins Gefängnis. Eine Wende sollte nur einleiten, wer beim Rückenschwimmen gelernt hat, nicht mit dem Kopf gegen den Beckenrand zu knallen. Robin Alexander

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