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Pummelstunts im Tigerfellbody

■ Für Trashfans und Feministinnen: Dorothee Wenners Porträt von Fearless Nadia, der Inderin, die „Zorros blonde Schwester“ war

Ständig gibt es neue Berlin-Bücher. Da ist es recht schön, wenn sich Berliner JournalistInnen auch mal um andere Städte und Menschen kümmern. Zum Beispiel um Bombay. Das Buch, das die Journalistin und Filmemacherin Dorothee Wenner über die indische Schauspielerin schrieb, die unter dem Namen Fearless Nadia zwischen 1935 und 1945 ihre größten Erfolge hatte, beginnt allerdings in Berlin; genauer im Frühjahr 1994, als „Fearless – The Hunterwali Story“, ein Dokumentarfilm über das Leben der indischen Stuntlegende bei den Berliner Filmfestspielen gezeigt wurde.

Die fast 60 Jahre alten Actionsequenzen, in denen eine pummlige Blondine im knappen Tigerfellbody Männer vermöbelte und ungedoubelt all das unternahm, was im Allgemeinen männlichen Helden vorbehalten ist, begeisterten sowohl Fans gepflegten Trashs als auch Feministinnen. Wenner beschloss, der Schauspielerin hinterher zu recherchieren, wobei es sich gut traf, dass Riyad Wadia, der Regisseur des Films, ein Großneffe von Fearless Nadia war. So fand sich eins ins andere: Dorothee Wenner fuhr ein paar Mal nach Bombay, traf sich dort mit Verwandten, Bekannten, KollegInnen Nadias, schaute sich die verfügbaren Filme an, entdeckte Geschichten für einen eigenen Dokumentarfilm und verliebte sich in die Stadt. Dies existenzielle Moment der Beschäftigung mit ihrem Thema teilt sich auf eine angenehm zurückhaltende, charmante Weise in ihrem detailreichen Buch an jeder Stelle mit.

Mit bürgerlichem Namen hieß Nadia Mary Evans und wurde 1908 als Tochter eines britischen Kolonialsoldaten und einer griechischen Schauspielerin im australischen Perth geboren. 1912 ging die Kleinfamilie nach Bombay. 1915 starb ihr Vater. Wie die Heldinnen ihrer späteren Filme verbrachte Mary Evans ihre Kindheit in ärmlichen Verhältnissen. Zunächst arbeitete sie als Verkäuferin und Sekretärin, lernte – auch um dünner zu werden – schon bald tanzen, trat als Tänzerin in Kinos auf, um die Stummfilme zu untermalen und wurde mit 26 von der Filmgesellschaft „Wadia-Movietone“ engagiert, die gerade mit einem indischen Pendant zu „die Maske des Zorro“ erfolgreich gewesen war.

Nach zwei Nebenrollen spielte sie in dem actionreichen Film „Hunterwali“ die Hauptrolle, ein weibliches Robin-Hood-Pendant. Ihr extravagantes Kostüm – enge Schachtstiefel, äußerst knappe Shorts, knappe ärmellose Bluse, eine schwarze Maske, eine Peitsche – und vor allem die Kampf- und Stuntszenen machten sie über Nacht berühmt. „Ganz Indien war im Hunterwali-Fieber. Auf allen Märkten und Basaren gab es Peitschen, Masken und Hunterwali-Bildchen zu kaufen.“ 40 actionreiche Filme folgten. Über zehn Jahre lang war Fearless Nadia, die erst mit 27 eine indische Sprache lernte und 1960 ihren Produzenten heiratete, die bekannteste indische Filmgöttin. Später wurde es ihr zu eng in dem Format. Ihr letzter Film, den sie mit 60 drehte ist durchaus selbstironisch.

Dorothee Wenners Buch über die Schauspielerin ist vieles: spannende Biografie, kluge Einführung in die Kinematografie eines Landes, in dem die Stars wie Götter verehrt werden, eine unangestrengt feministische Ehrenrettung von Nadias emanzipatorischen Actionfilmen, die die entscheidenden gesellschaftlichen Konflikte – ob Unabhängigkeitskampf, Kastensystem oder Geschlechterrollen – immer thematisierten. „Nadia starb am 9. Januar 1996 (...) an den Folgen eines Herzinfarkts. Ihr Mann besucht regelmäßig ihr Grab und parfümiert den dunklen Marmorstein.“

Detlef Kuhlbrodt

Dorothee Wenner; „Zorros blonde Schwester – das Leben der indischen Kinolegende Fearless Nadia“. Ullstein 1999. 288 Seiten. 22 DM

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