: Pubertierende Menschen in freier Wildbahn
Morgen läuft der Film „Thirteen“ im fsk an. David Williams Alltagstragikomödie schillert zwischen Dogma-Ästhetik und märchenhaften Zügen
Weit verbreitet ist der Irrglauben, die wunderlichsten Wesen auf diesem Planeten seien die Schnabeltiere. Das ist nicht wahr: Am seltsamsten ist ganz eindeutig der Homo sapiens kurz vor der Geschlechtsreife. Ein besonders schönes Exemplar dieser Gattung trägt den Namen Nina und ist die Protagonistin von „Thirteen“.
Die seltsamste Eigenschaft eines pubertierenden Menschen in freier Wildbahn ist es, dass ihm selbst all seine Handlungen vollkommen logisch erscheinen, während seine Artgenossen nicht verstehen können, was da vor sich geht. Also bläst Nina die dreizehn Kerzen auf ihrer Geburtstagstorte aus, verstummt vollkommen und marschiert erst mal los. Hinaus geht es aus Richmond, Virgina, mal im Auto, mal zu Fuß, immer den Highway entlang, bis sie schließlich in vom Indian Summer bunt gefärbten Wäldern landet. Dort ersteigt sie den höchsten Berggipfel, blickt sich um und steigt wieder ins Tal hinunter. Zu Hause sind mittlerweile Familie und Nachbarschaft in Aufruhr und stellen Suchtrupps zusammen. Wenige Tage später geht einfach die Tür auf, und Nina geht schnurstracks zurück in ihr Zimmer. Nun, verkündet sie, habe sie beschlossen, ein Auto zu kaufen, und stürzt sich fortan auf jeden verfügbaren Job.
David Williams lässt die Schauspieler vor allem sich selbst spielen. Sie behalten ihre eigenen Namen, improvisieren ihre Dialoge, und manchmal blicken sie so haarscharf an der Kamera vorbei, dass man ihre Verunsicherung spüren kann. Dieses Konzept erinnert an die von Mike Leigh entwickelte Methode, die Schauspieler in endlosen Sitzungen ihre Charaktere selbst entwickeln zu lassen und dann erst das Drehbuch zu schreiben, nur dass man bei Williams das Gefühl hat, dass er bereits die Kamera einschaltet, während die Proben noch laufen. Tatsächlich tauchen dieselben Figuren und Schauspieler schon in Williams’ erstem langen Film „Lillian“ auf. Lillian ist auch hier Ninas Mutter, für „Thirteen“ aber wurde die Perspektive auf die Tochter verschoben.
So gerät „Thirteen“ in eine fragile Schwebe zwischen Dokumentar- und Spielfilm, die er bis zum Ende aufzugeben sich weigert. Dass das Auto als Symbol stehen mag für Ninas Willen aufzubrechen, erscheint bei so viel geballter Realität schon als Überinterpretation. Eher erzählt „Thirteen“ ebenso schlicht wie anrührend von einem Jahr voller unspektakulärer Abenteuer im Leben eines pubertierenden Menschen, nimmt all die Irrungen und Wirrungen ebenso ernst wie die Verwerfungen, die dadurch in der Erwachsenenwelt entstehen.
Williams behauptet erst gar nicht, er könnte dem Verhalten seiner Protagonistin auf den Grund gehen. Stattdessen bildet er sehr exakt die Zerrissenheit ab, in die Pubertierende zwischen Nichtmehrkindkönnensein und Schonerwachsenseinwollen geworfen sind. Aber so quasidokumentarisch die Umsetzung auch sein mag, so grobkörnig die Bilder, so reduziert Musik, Schnitt und Kamera, so sehr „Thirteen“ auch an die dänischen Dogmafilme erinnert, bisweilen nimmt die Alltagstragikomödie gar märchenhafte Züge an. Ninas Verhalten aber bleibt unerklärlich, weil es eben nun mal seltsam ist, was Menschen so treiben in diesem seltsamen Alter. THOMAS WINKLER
Ab morgen im fsk am Oranienplatz, Segitzdamm 2, Kreuzberg
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