Psychotherapeut über Broker: "Viele haben Spielsuchtprobleme"
Während die Finanzkrise immer dramtischere Ausmaße annimmt, gibt es die ersten Suizide abgestürzter Broker. Psychotherapeut Gross über Gier und Rausch in der Finanzwelt.
taz: Herr Gross, Sie therapieren und coachen seit vielen Jahren Banker und Broker. Im Augenblick der Krise geben sich Ihre Klienten überraschend cool - müssten die nicht panisch reagieren?
Werner Gross: Ich sage immer, die haben Hornhaut auf der Seele. Menschen, die in dieser Branche zugange sind, haben eine spezielle Mentalität. Broker sind sehr selten Mimosen, die sind stoßfest, bruchsicher, formschön und abwaschbar. Und das zeigen sie auch jetzt. Es geht ja erst mal nicht um ihr Geld.
Also emotionsgestörte Gelddealer?
Nein, natürlich sind das sehr wohl Personen, die verletzlich sind. Bei mir in der Psychotherapie landen dann die abgestürzten Helden, die, die richtig runtergekracht sind.
Was sind die Ursachen für diese Crashs?
Das ist unterschiedlich. Das kann eine so schwere Krise wie die jetzige sein. Aber auch, dass eine Beziehung kaputtgeht. Abstürze haben nicht zwingend mit den Millionen zu tun, die diese Leute durch die Gegend schieben. Viele sind halt Personen, die Geldgeschäfte benutzen wie Süchtige. Nicht umsonst haben - nach Schätzungen - zwischen 2 und 10 Prozent der Broker ernsthafte Spielsuchtprobleme.
Spüren Sie die Finanzkrise in Ihrer Praxis?
Ja, das ist bemerkbar. Nicht nur bei Brokern und Bankern, in fast jedem therapeutischen Gespräch ist dieser Tage die Verunsicherung das große Thema.
Geht es den Bankern in den Gesprächen um Angst oder um Schuld?
Schuld ist ein Gefühl, das ganz, ganz klein geschrieben wird. Angst ja, aber das hängt vom jeweiligen Job ab. Wenn Banker tief fallen, werden sie mit einem goldenen Handschlag verabschiedet. Die landen also relativ sanft und haben eine Dimension von Sicherheit im Kopf. Das habe ich bei der letzten großen Kündigungswelle vor zwei Jahren erlebt. Bei den Brokern ist das anders. Die trifft es härter.
Bei denen geht es also nicht um das abbezahlte Häuschen, sondern um den Ruf, um die berufliche Perspektive in der Branche?
Ja, das ist ein Aspekt. Aber das ist eher ein Thema fürs Coaching, wo die berufliche Entwicklung im Fokus steht und eine Lösungsorientierung angestrebt wird. Wo gehe ich hin, wo finde ich meinen nächsten Job? In der Psychotherapie geht es um Problemorientierung. Also die Frage: Wodurch ist diese Krise entstanden, in der ich mich jetzt befinde? Das ist wie bei einer Wunde: Manchmal reicht schon ein Pflaster. Aber es gibt auch tiefere Wunden, die mit der Lebensgeschichte zu tun haben. Und das ist momentan im Finanzgeschäft die Frage, die sich viele stellen. Diese Leute haben es natürlich viel lieber, wenn man nur die oberflächliche Wunde behandelt. Aber das funktioniert eben leider nicht immer.
Sagen Ihre Klienten in der Therapie: Der Job hat aus mir diesen Krisenfall gemacht?
Die Frage ist schon: Welche Personengruppen landen in diesen Jobs, wie kam es zu dieser Berufswahl? Ein gutes Ergebnis einer Beratung ist, wenn sie merken, dass da zwei Dinge zusammenspielen: eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur und ein bestimmtes Berufsfeld. Wenn da jemand als kleiner Bankangestellter plötzlich an Bonus 200.000 Euro im Jahr bekommt, dann hat der oft schon Blut geleckt. Das Starten ist ja meist einfach. Die wichtigere Frage ist aber: Wie kriege ich das Landen wieder gescheit hin? Gestartet als Adler, gelandet als Suppenhuhn? Man muss sich klarmachen, wenn ich abhebe, muss ich vorher überlegt haben, wie ich auch wieder lande. Also nicht gleich einen Kredit aufnehmen für ein Loft, das eine halbe Million kostet.
Es geht also um Gier?
Ja, um Gier, Rausch und Ekstase. Viele Broker sind Reizsucher und brauchen den "Kick". Das ist eine spezielle Mentalität von Personen, vor allem jenen, die sich länger in dieser Branche bewegen.
Wie steht es um die Selbstwahrnehmung der Branche? Bisher galten diese Leute als Problemlöser, jetzt sind sie plötzlich selbst das Problem.
Ich kann nicht über jeden Broker, der da zugange ist, sprechen. Aber als Problemlöser sehen die sich eigentlich nie. Die gucken schon, dass es für sie persönlich auch passt und stimmt. Diese Rein-rauf-raus-Mentalität - rein in eine Aktie, die nach oben geht, und dann schnell wieder raus - die ist schon prägend.
Wie verarbeiten die den extremen Vertrauensverlust? Sie sind doch die Experten, denen die Kunden vertraut haben.
Wirklich als Experten verstehen sich ja nur wenige. Wenn ich da an meine Coachings denke … das ist ein Geschäft, das nicht nur für Sie und mich unübersichtlich ist, sondern es ist für die oft genauso unübersichtlich. Sie geben sich nach außen hin als Experten, innerlich fühlen sie sich oft so unsicher wie wir alle. Das hat für viele eher eine spielerische Dimension.
Also wieder das Spiel und die Sucht danach?
Es ist ein Spiel, ja. Börse ist ja ein Handel mit Hoffnungen und mit Ängsten. Und aktuell kippt das von der Hoffnung in die Angst. Jetzt ist im Moment der Bär da, und der Bulle unterliegt. Die Banker unterliegen.
Gibt es Solidarität unter Bankern?
Da gibt es eine starke Konkurrenz. Ich hatte letztens jemanden hier, der sagte: Wissen Sie, das ist ein Haifischbecken, und wenn ich da reingehe, muss ich mir einen möglichst bissfesten Neoprenanzug zulegen. Klar, es gibt auch Freundschaften, Cliquen. Aber der Anteil der Leute, die wirklich offen in ihrem Berufsfeld sprechen, ist gering. Die haben meist einen Coach oder einen Therapeuten, Pfarrer, einen älteren Berater, eventuell auch ihre Frau, der sie dann mit ihren Sorgen ein Ohr abkauen.
Also eine männlich dominierte Branche?
Eher männlich, ja.
Was raten Sie Bankern, die zu Ihnen kommen, wie sie mit der aktuellen Krise umgehen sollen?
Ich rede da schon relativ offen. Ich sage denen natürlich nicht, die sollen das mal allein ausbaden. Ich rate ihnen, genau zu schauen, wie es um ihre Absicherung bestellt ist, wo es auf der materiellen Ebene gefährlich für sie ist. Also was sind die Dinge, die notwendig sind? Das kriegen diese Leute häufig einfach nicht mehr hin, zu unterscheiden zwischen dem, was wirklich notwendig ist, und dem, was Luxus ist.
Was sagen Sie Kunden, die vom Crash betroffen sind?
Ich sage denen, gucken Sie sich die reale finanzielle Ebene so unemotional wie möglich an. Reden Sie mit Ihrem Bankberater, und schauen Sie, dass Sie das Materielle geregelt bekommen. Und dann erst schaue ich auf die psychologische Seite. Nur zu beschwichtigen lohnt da nicht. Man muss ihnen dann oft sagen, wo Angst angemessen und richtig ist und wo neurotisch überzogen.
Im Moment geht es ja nur um die Angst vor dem, was kommt. Die Bankenkrise ist ja noch kaum real greifbar.
Aber es gibt schon Erfahrungen. Vor einem halben Jahr gab es die Lone-Star-Geschichte, wo irgendwelche idiotischen Sparkassen Kredite ihrer Kunden verkauft haben und Lone Star die Häuslebauer in den Ruin getrieben hat. Also das gab es, und im Moment gibt es erst mal nur Einzelfälle. Meine Sorge ist, dass künftig der Handel mit Hoffnungen nur noch angstgesteuert ist. Man kann ja sagen, Realität hat viele Nachteile, zum Beispiel dass sie begrenzt ist. Aber sie hat auch den Vorteil, begrenzt zu sein. Wenn man keine Informationen hat, blühen die Fantasien und die Gefühle. Je weniger Faktenwissen ich über eine Sache habe, desto mehr geht es entweder in Richtung Hoffnung oder in Richtung Resignation. Deswegen ist der erste Schritt, die Realität in den Blick zu nehmen.
Haben Sie Angst?
Ich habe keine Angst um mich persönlich, sondern davor, dass dieses System so ins Trudeln gerät, dass gesellschaftlich und politisch ganz andere Dinge ins Wanken geraten. Ich habe selbst früher dieses System heftig bekämpft, und vor diesem Hintergrund finde ich schon, die Herrschaften sollen das gefälligst auch ausbaden, was sie angerichtet haben.
INTERVIEW: ANJA MAIER
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