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Psychogene Sehstörungen

■ betr.: „Mittelstand statt Sozialis mus“, taz vom 21. 6. 96

Christoph Seils' Artikel war ein erfreulicher Beitrag zur nüchternen, illusionslosen und analytischen Beschäftigung mit der PDS. Vor allem die Bündnisgrünen sollten endlich die Fakten zur Kenntnis nehmen und sich ihren Blick nicht länger durch psychogene Sehstörungen trüben lassen, die oft hysterische Ausbrüche begleiten. Kluge Vorstöße wie der von Werner Schulz, „eine neue Runde im Umgang mit der PDS einzuläuten“ und dabei auch über eine „linke Mehrheit“ unter Einschluß der PDS zu diskutieren (taz vom 29. 11. 95), sind ohne Folgen geblieben. Eine rationale Strategie der Bündnisgrünen im Umgang mit der PDS ist nicht zu erkennen. Sie müssen sich aber mit der Möglichkeit vertraut machen, daß „rot- grün“ 1998 im Bund nur unter Einschluß der PDS möglich sein könnte. Und dann? Augen zu, Backen aufblasen, übel nehmen und sich verweigern? Wohl kaum.

Die Gefahr, die von der PDS ausgeht, besteht nicht darin, daß sich dahinter ein Kader hervorragender kommunistischer Funktionäre verbirgt, der mit legalen und illegalen Mitteln versucht, die „Sowjetrepublik Deutschland“ zu errichten und dabei auf trottelige Bündnispartner setzt. Ganz im Gegenteil! Der Slogan „Die PDS ist die CSU des Ostens“ ist keine Übertreibung. Die ostdeutsche Basis der PDS ist konservativ, autoritäts- und staatsfixiert und vor allem das Produkt jahrzehntelanger Düngung mit Humus aus kleinbürgerlicher Produktion. [...] Dieses üble Gemisch aus Spießertum, autoritärem Charakter, Borniertheit und fehlendem Schuldbewußtsein, hat in Christine Ostrowski eine würdige Repräsentantin gefunden.

[...] Wer dieser Partei wirklich schaden will, der muß ihren Populismus entlarven und ihren Oppositionsmythos knacken, indem er sie einbindet und mit Ministerposten ausstattet. Mitmachen, mitmischen – das sehnt die PDS herbei wie ein Masochist die Prügel. An ihr würde keine Koalition scheitern. [...] Bitte, bitte, liebe SPD in Ostdeutschland: Koaliere mit der PDS, umarme sie, bis ihr die Luft wegbleibt, damit wir die Beerdigung bald hinter uns haben! Udo Weinrich, Bonn

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