: Pseudo-Aktivismus -betr.: Kommentar in der taz, 17./18.2.96, "Pseudeo-Regierung"
Betr.: Kommentar in der taz, 17./18.2., „Pseudo-Regierung“
Bei allem Respekt für pointierte Kommentare, diesmal hat Jochen Grabler mal wieder voll daneben gelegen. Der Koalitionsausschuß hat sich seine Entscheidungen – auch wenn sie meiner Einschätzung größtenteils falsch sind – zu Recht nicht vom Vulkan diktieren lassen. Was hätte er seiner Meinung nach tun sollen? Alle bremischen Projekte kippen und den verbleibenden Haushalt in den Vulkan stopfen, damit der seinen Zusammenbruch noch ein paar Wochen länger verschleppen kann? Mit solchen Pseudo-Aktivismus kann man sich kurzfristig die Sympathie der betrogenen Vulkanarbeiter erkaufen, aber keine Landespolitik machen.
Es hat keinen Sinn, sich weiter in der Illusion zu wiegen, daß man mit der Großindustrie Arbeitsplätze sichern könne: Gerade dort fließen die Gewinne international auf undurchsichtigen Wegen ab, zwischendurch werden Subventionen im großen Stil abgezogen, und wenn die Seifenblase platzt, werden die Verluste wie immer vergesellschaftet. Schon bevor der Vulkan seinen agressiven Expansionskurs begann, war die beste Zeit der deutschen Werften längst vorbei. Aber weil Politik für die Kleinen ein unspektakuläres und mühsames Geschäft ist, ließ man sich nur allzu gern von der Kaufwut des Vulkanmanagement blenden.
Mit der Autoindustrie wird es nicht viel anders gehen, auch ihre Blütezeit ist hierzulande vorbei. Die Öffnung der Märkte bringt eben nicht nur Exportsteigerungen, sondern auch Billiglohnkonkurrenz, und irgendwann ist auch der hiesige Markt gesättigt. Langfristige Projekte wie der Hemelinger Tunnel kommen daher zum jetzigen Zeitpunkt viel zu spät. Wer garantiert denn (oder könnte überhaupt) dafür, daß das Mercedes-Werk bis zu dessen Fertigstellung nicht längst die Hälfte der Arbeiter wegrationalisiert hat oder ganz dicht gemacht wurde? Den Baulärm, –dreck und die Verkehrsbehinderungen werden die Hemelinger in jedem Fall ab Baubeginn noch zusätzlich zu spüren bekommen.
Der Bau der Linie 4 ist daher die einzig sinnvolle Entscheidung gewesen: Die Kosten sind im Vergleich zu den anderen Projekten gering und gut kalkulierbar, der Nutzen – die Entlastung der Anwohner und Nutzer von Lärm, Abgasen und Unfallgefahr und die Erhöhung der Transportkapazität dieses Verkehrsweges – ist sicher. Aber ausgerechnet das Projekt, das sogar der (Autofeindlichkeit und ökologischer Fortschrittlichkeit unverdächtige) Bund zu 50% fördert, wird von allen Seiten angefeindet, und da man es doch nicht kippen konnte, verzichtet man freiwillig ganz locker auf 5 Millionen, damit ein paar Autos mehr von den Geschäften stehen können!
Und da die Realität zur Zeit so häßlich ist, flüchtet man sich lieber in Luftschlösser wie die Messehallen. Die kosten Bremen zwar fast doppelt so viel wie die Straßenbahn, die Erfolgsaussichten stehen bei der derzeitigen Rezession Lichtjahre entfernt in den Sternen, aber zumindest entsteht dabei wenigstens ein repräsentatives Baudenkmal... Werner Behrendt
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