: Prügel für die Moral
■ Britische Bildungsministerin will die Prügelstrafe an Schulen wieder einführen
Dublin (taz) – An britischen Schulen soll der Rohrstock wieder ausgepackt werden, wenn es nach der Bildungsministerin Gillian Shephard ginge. „Ich bin der Meinung, daß körperliche Züchtigung als Abschreckung für schlechtes Betragen an Schulen nützlich sein kann“, sagte sie in einem Radiointerview. „Der Premierminister ist anderer Meinung.“ Sie will jedoch nicht darauf drängen, ihre persönliche Neigung ins neue Bildungsgesetz zu lancieren.
Das tun jedoch andere für sie. Der rechte Tory-Flügel lobte Shephard für „ihre mutige Haltung“. Rechtsaußen Tony Marlow kündigte einen parlamentarischen Antrag an, die Prügelstrafe an Schulen, die vor zehn Jahren abgeschafft wurde, wieder einzuführen. Das Thema erscheint den rechten Tories als günstiges Instrument, um einen Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte heraufzubeschwören. Haut Europa den Briten erneut auf die Finger, bekommt der antieuropäische Flügel Oberwasser, so kalkulieren sie.
In Großbritannien wird seit Monaten eine nationale Debatte über Moral und Disziplin geführt. Auslöser war der Mord an dem Londoner Schuldirektor Philip Lawrence, der einen Streit zwischen Schülern schlichten wollte und von einem Jugendlichen erstochen wurde. Der Mörder wurde vorige Woche zu lebenslanger Haft verurteilt. Lawrences Witwe Frances hat eine Kampagne für die moralische Erneuerung Großbritanniens gestartet (siehe taz vom 24. 10.).
Seit dem Mord am Schulleiter ist es immer wieder zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Ministern, Schulverwaltungen, Lehrern und Eltern über einzelne Schüler gekommen, in vielen Fällen wurde der Schulbetrieb dadurch lahmgelegt.
Im jüngsten Fall drohten Gewerkschaftsmitglieder an der Manton-Grundschule in Nottinghamshire Anfang der Woche mit Streik, falls ein Zehnjähriger nicht hinausgeworfen würde. Matthew Wilson habe seine Mitschüler ständig terrorisiert, hieß es. Am Dienstag griff der Direktor ein und schloß kurzerhand seine Schule „aus Gründen der Gesundheit und Sicherheit“ auf unbestimmte Zeit. Er sagte, er könne keine Verantwortung für die Unversehrtheit seiner Schüler übernehmen.
Im Sommer hatte es schon einmal eine erhitzte Diskussion über die Rechte prügelnder Eltern gegeben. Damals fand die britische Regierung, Prügel sei eine „angemessene Form der Züchtigung“. Die Regierung versprach, die Prügelstrafe als Erziehungsmittel für Eltern gegenüber ihren Kindern mit allen Mitteln zu verteidigen. Sie reagierte damit auf eine Entscheidung der Menschenrechtskommission des Europarates, die Beschwerde eines Zwölfjährigen über seinen prügelnden Stiefvater zuzulassen.
Weil die Nation damals der Regierung applaudierte, glaubt Gillian Shephard nun offenbar, mit ihrer Rohrstockinitiative Pluspunkte für das Rennen um John Majors Nachfolge sammeln zu können. Das wird nach der zu erwartenden Wahlniederlage am 1. Mai einsetzen.
In Luton hat eine Lehrerin Shephards Vorschlag bereits in die Tat umgesetzt: Sie gestattete einem Schüler, seine Mitschüler, die ihn schikaniert hatten, mit einem Holzlineal zu vermöbeln. Die Schulverwaltung hat ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Ralf Sotscheck
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