Prêt-à-porter: Karl ist Coco
■ Harmlos, von klassisch bis faul: Galliano, Kawakubo, Chanel
Es ist so still hier. Keine Aufregung, keine Anspannung, es passiert irgendwie nichts bei diesen Schauen in Paris. Seltsamerweise scheint auch niemand etwas zu erwarten. Vielleicht liegt es am Wetter: Eigentlich ist Winter, aber es ist warm wie im Sommer. Es ist so unwirklich. John Galliano hat seine erste Prêt-à-porter-Kollektion für Dior vorgestellt: na und?
Er hat gekniffen! Seine Haute- Couture-Kollektion im Januar war ein großer Erfolg. Da hat er einfach einige der Themen etwas abgewandelt für eine Prêt-à-porter-Kollektion. „Chinesische Pin- ups, Jayne Mansfield, Vargas“ hieß die Devise. Das bedeutete pastellfarbene Kostümchen mit superkurzen Röcken, getragen mit Söckchen und hohen Plateauabsätzen. Die Models sahen aus wie wandelnde Petit fours. Oder Seidenkleider aus rot-gelbem Jacquard, der kurze weite Rock vorn zur Taille hin gerafft. Oder hautenge Röcke aus feuerroter Seide, bis zur Taille geschlitzt und auf Hüfthöhe von einer goldenen Spange zusammengehalten. Es war sehr „unartig“, sehr harmlos und vor allem – sehr faul. Galliano hat diesen Job bei Dior unbedingt gewollt, und jetzt tut er so, als hätte sich dadurch gar nichts verändert. Aber für ein großes Modehaus wie Dior war das als Kollektion einfach zuwenig: Galliano zeigte drei Mäntel, einen aus Leopardenfell und zwei kurze Wollmäntel, die eventuell auch Jacken waren, zwei Arten von Hosen, die eine hauteng aus Shantungseide und die andere mit weiten bestickten Beinen, die seitlich bis zur Hüfte geschlitzt waren, und eine Handvoll Kostüme. Der Rest waren Abendkleider. Das war keine Kollektion, das war nur eine Pose.
Auch Rei Kawakubo hat zurückgeblickt und sich noch mal in die Sache versenkt, mit der sie groß geworden ist: Dekonstruktion. Auf Kleider aus einem durchsichtigen Gewebe wie Organdy, Nylon oder Spitze nähte sie Schnitteile aus Wolle, Tweed oder Gabardine. Das heißt ein Stück vom Rückenteil, daneben noch ein Stück, aber die Teile waren nicht zusammengenäht, sondern lagen auf dem durchsichtigen Stoff so nebeneinander, daß dazwischen ein schmaler Gazestreifen blieb, der den Blick auf die Haut freigab. Der Rock wurde meistens durch eine Stoffbahn gerade nur angedeutet, der Rest war auch hier Nylon oder Spitze.
Der Effekt ist Kampf. Keiner der Stoffe kann sich frei bewegen, weil sie zusammengenäht sind. Der leichte Stoff kann nicht frei schwingen, und der schwere kann sich nicht gemächlich hin und herbewegen, weil er auf dem leichten festsitzt. Beide Stoffe behindern sich gegenseitig, drängeln, finden keinen Platz und legen sich an den unvermutetsten Stellen empört in Falten.
Die größte Überraschung war Chanel. Kein einziges buntes Chanelkostüm. Statt dessen schwarze und blaue Kostüme mit kurzen Röcken und langen Jacken – sehr zurückhaltend, um nicht zu sagen uninspiriert. Und erst die Kleider: Der schlichte Schnitt erinnerte an die zwanziger Jahre. Ärmel, Saum und Ausschnitt bestickt mit blau-rot-weißen kleinen unregelmäßigen Punkten, die an Kandinsky erinnerten. Die Kleider so einfach, das Muster so naiv – kein Schmuck, keine spektakulären Gesten wie bei den letzten Schauen, wo Lagerfeld von einem Kleid dreißig Varianten über den Laufsteg schickte. In den letzten Jahren haben alle davon gesprochen, daß die Achtziger mit ihrer Protzerei vorbei seien. Lagerfeld hat das nicht einen Moment geglaubt. Jetzt, wo die anderen wieder anfangen zu prunken, jetzt spielt er den Seriösen: Dior? Wer ist Galliano? Ich bin Coco! Anja Seeliger
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