Prêt-à-porter: Nur auf Zehenspitzen
■ Exzentrisches und Ordinäres von Scott, Thimister, Lacroix
Punk in Paris? Ja. Aber nie da, wo man ihn vermutete. Die meisten jungen Designer hielten sich an Schwarz – du sollst keine andere Farbe neben mir haben. Kustos Murkudis zeigte schwarze, an den Beinen aufgeschlitzte Lederhosen und oben aufgeschlitzte Kleider, die mit Müh und Not den Hintern bedeckten.
Jeremy Scott schickte seine Models in winzigen Lederkleidern nach draußen, mit Netzstrumpfhosen und Schuhen, die nur aus einem Stückchen Sohle bestanden, an dem ein hoher dünner Absatz befestigt war. Das Ganze wurde dann mit einem kleinen Band am Fuß festgebunden. Selbstverständlich konnte man darin nur auf Zehenspitzen laufen. Eins der Models kam in so einem Lederkleid raus, rannte (!) fast durch den Raum, blieb plötzlich stehen, drehte sich um und fixierte minutenlang einen Fotografen. Dann lief sie weiter, die Treppe runter, blieb noch einmal kurz stehen und fing an zu zittern wie ein ängstliches Tier. Das jugendliche Publikum war begeistert.
Das feine Haute-Couture- Haus Balenciaga dagegen scheuchte sein bürgerliches Publikum ohne das leiseste Bedauern von den Plätzen. Chefdesigner Josephus Melchior Thimister hatte für seine Schau eine Band engagiert, die ein Höllenspektakel veranstaltete. Etwa zehn Minuten vor Schluß waren die ersten Reihen leer – nur Suzy Menkes von der Herald Tribune blieb tapfer sitzen und hielt sich die Ohren zu. Es war eine großartige Schau.
Thimister zeigte Anzüge mit Oxfordhosen, in Berlin nannte man sie Anfang der 20er Jahre „Tangohosen“. Diese Hosen haben unwahrscheinlich weite Beine. Oben ohne Bundfalten, gehen sie am Schenkel enorm auseinander, um am Knie noch einmal ausgestellt zu werden. Da der Stoff meist etwas steif war, schwangen sie wie riesige Kegel um die Beine – der Reifrock als Hose. Dazu kam noch, daß sie oft ein Stück zu lang waren und auf der Erde schleiften. Diese Hosen gab es in den unterschiedlichsten Variationen: in grauem Flanell mit einem entsprechenden taillierten Herrenjackett dazu. Oder aus dunkelrotem Ledersatin, dazu ein braunes Hemd mit gleichfarbiger Krawatte. Thimisters Kleider waren durch und durch aristokratisch: unbekümmert exzentrisch und lustig.
Noch erstaunlicher war die Schau von Christian Lacroix. Er ist Provenzale und liebt die bunte Pracht. Aber diesmal fügte er einen kräftigen Schuß Gewöhnlichkeit hinzu: ein weißer Wollrock mit vier Zipfeln, der starke Ähnlichkeit mit diesen kleinen Häkeltischdeckchen hatte, mit blauen Strumpfhosen und einem schwarzen Netzoberteil, dessen Ärmel über pinkfarbene lange Handschuhe gezogen waren.
Das kam daher wie ein Hohn auf das nächste Outfit, ein armes Häschen, das in einem engen langen konventionellen Seidenkleid über den Laufsteg trippelte. Selbst die Abendkleider – raffiniert gerafft – waren meist über einen ordinären durchsichtigen schwarzen Body gezogen, von dem man nur im Ausschnitt ein Stück sehen konnte. Das waren keine Damen, das waren Saloonmädchen, die sich für eine vornehme Gesellschaft zurechtgemacht haben. Anja Seeliger
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