Prozess um Brandstiftung auf linke Projeke: Schwere Kindheit oder Linkenhass?
In Frankfurt hat der Prozess gegen einen Brandstifter begonnen, der linke Hausprojekte angriff. Ein politisches Motiv wird nicht angesprochen.
Seit diesem Freitag muss sich S. wegen schwerer Brandstiftung vor dem Frankfurter Landgericht verantworten. 16 Mal soll er zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 gezündelt und dabei mehrfach Menschen in Gefahr gebracht haben.
2018 war er bereits zweimal von Augenzeugen oder Passanten im Zusammenhang mit Brandanschlägen festgehalten worden. Einmal fand die Polizei sogar Brandbeschleuniger in seinem Rucksack. Für einen dringenden Tatverdacht und damit für einen Haftbefehl seien die Indizien nicht ausreichend, erklärte Ende 2018 die Staatsanwaltschaft der taz.
Die von Brandanschlägen Betroffenen kritisierten damals bereits die in ihren Augen laschen Ermittlungen. Immerhin begann danach die Überwachung. S. machte weiter und legte – polizeilich observiert – 15 weitere Feuer. Schließlich wurde er im Dezember 2019 festgenommen. Seit einem Jahr sitzt Joachim S. in Untersuchungshaft.
Mögliches politisches Tatmotiv nicht untersucht
AktivistInnen aus der linken Szene im Rhein-Main-Gebiet machen ihn darüber hinaus auch für andere Brandstiftungen gegen linke Wohnprojekte und alternative Kulturzentren verantwortlich. Am Freitag demonstrierte ein gutes Dutzend von ihnen vor dem Gerichtsgebäude gegen „rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße“. Sie kritisieren, dass die Justiz den möglichen politischen Hintergrund der Brandstiftungen ausblende.
Von einem politischen Hintergrund ist in diesem Prozess erst einmal nicht die Rede. In der Anklageschrift findet sich kein Wort in der Anklageschrift über den Charakter der Anschlagsziele oder zu den möglicherweise politischen Motiven des Angeklagten. Obwohl S. auch zweimal an die AfD gespendet hatte.
Zu den Brandanschlägen selbst will der Angeklagte zunächst nichts sagen. Dramatisch schildert er seine schwere Kindheit und Jugend. Die Mutter bricht am Tag seiner Einschulung zusammen und stirbt wenig später an Krebs. Der Vater, Studienabbrecher und schließlich arbeitslos, trinkt und schlägt seine beiden Söhne. Unter Einsamkeit habe er gelitten, wegen seiner schmächtigen Statur und seiner Brille sei er gehänselt worden, sagt Joachim S..
Täglich bis zu 5 Liter Bier
Nach dem glänzend bestanden Abitur studiert er in Darmstadt Physik, doch auch er ist längst zum Trinker geworden. „Täglich 8 bis 10 halbe Liter Bier“. Morgens ist er mit seinem Kater beschäftigt, schwänzt die Vorlesungen und leidet unter Gedächtnisverlust. Das Vordiplom schafft er, dann bricht er das Studium ab.
Etwa zeitgleich tritt er erstmals als Brandstifter in Erscheinung. Dreimal versucht er 2002 dasselbe Haus in Darmstadt anzuzünden. Es sei für ihn ein „Traumhaus“ gewesen, in so einem Haus wäre er gerne zu Hause gewesen, für die verwahrloste Wohnung seines Vaters habe er sich geschämt, bekannte er damals vor Gericht. Seitdem ist S. vorbestraft.
Die Hassbeziehung des Angeklagten zur linken Szene kommt an diesem ersten Verhandlungstag nur einmal kurz zur Sprache. Als Joachim S. über sein „Outing“ spricht. Aktivistinnen hatten ihn öffentlich der Brandanschläge beschuldigt. Durch sein Fenster sei in der Nacht ein Pflasterstein geworfen worden. „Wenn Sie das erleben, kriegen sie das Zittern“, sagt er. Ob er Linke seitdem als Feinde ansieht oder bereits zuvor als Gegner gesehen hat – danach fragt ihn keiner der Prozessbeteiligten.
Stattdessen geht es zunächst um den Brandanschlag auf das Kulturzentrum KUZ im Dezember 2018 in der Hanauer Metzgerstraße. Damals war der Angeklagte am Tatort. Das gibt er zu. Beim Zündeln hat ihn niemand gesehen. Auf dem Hanauer Freiheitsplatz hatten ihn damals ZeugInnen gestellt. Aus seinem Rucksack sei eine Flasche mit Spiritus gerollt, sagte am Freitag vor Gericht ein 30jähriger Zeuge. „Ich habe damals gedacht: Mein Gott, der Mann wollte uns anzünden.“
Mehrere andere Anschläge auf linke Projekte sind bislang nicht Gegenstand der Anklage. „Die Ermittlungen dauern an“, erklärt dazu die Staatsanwaltschaft.
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