Prozess gegen TÜV Süd: Nur Beileid für die Brasilianer
Vor dem Landgericht München sieht der TÜV Süd keine rechtliche Verantwortung für die 270 Toten nach dem Staudammbruch in Brasilien.
Der Bruch des Staudamms einer Eisenerzmine hatte damals im brasilianischen Brumadinho eine gewaltige Schlammlawine ausgelöst, die Teile des Ortes zerstörte. 270 Menschen kamen ums Leben. Nur wenige Monate zuvor war der Damm vom brasilianischen TÜV-Ableger untersucht und als sicher zertifiziert worden.
Am Dienstag saßen sich Vertreter aus Brumadinho im Bundesstaat Minas Gervais und TÜV-Anwälte in einem Musterprozess gegenüber. In dem Verfahren wird juristisches Neuland verhandelt: Kann ein Unternehmen für das Umweltvergehen in Deutschland zur Verantwortung gezogen werden, das seine Tochterfirma im Ausland begangen hat?
Avimar Barcelos, der Bürgermeister von Brumadinho, ist für das Verfahren nach München gereist. Ebenso wie zwei Brüder und der Ehemann der Ingenieurin Izabela Barroso – die damals 30-Jährige war von der Schlammlawine getötet worden. „Niemand kann Izabela zurückbringen“, sagt der Bürgermeister vor Gericht.
„Die sollen kommen“
„Doch ich bin empört, dass der TÜV sich weigert, Verantwortung zu übernehmen.“ Barcelos, ein jüngerer Mann, erzählt, dass seine Gemeinde immer noch zu großen Teilen zerstört sei. Erst 30 Prozent des giftigen Schlamms sei beseitigt. „Die sollen kommen und sich anschauen, was sie angerichtet haben.“
Avimar Barcelos, Bürgermeister Brumadinho
Die Vorsitzende Richterin des Landgerichts, Ingrid Henn, versuchte, eine Güteverhandlung zu erreichen, bei der sich beide Seiten auf Entschädigungssummen einigen. Dazu war Rechtsanwalt Jan Erik Spangenberg, der die Kläger vertritt, grundsätzlich bereit.
Für die Gemeinde werden umgerechnet 70.000 Euro verlangt, für die Angehörigen der Getöteten pro Person zwischen 15.000 und 30.000. Das könnte der TÜV Süd problemlos aufbringen. Allerdings: Spangenberg vertritt nach eigenen Angaben weitere 1200 Angehörige. Für das Unternehmen steht auf einmal eine Milliarde Euro Entschädigung im Raum – viel auch für den TÜV.
Doch es gibt ja auch noch den Betreiber der Mine, der in der Verantwortung steht. Dabei handelt es sich um den brasilianischen Mega-Bergwerkskonzern Vale. Der TÜV stellte sich in der Verhandlung auf den Standpunkt, sein Gutachten sei „in Ordnung“ gewesen, meinte Firmenanwalt Philipp Hanfland.
Keine gemeinsamen Nenner
Es gebe keinen „Nachweis missbräuchlichen Verhaltens“ und keinen „Kausalzusammenhang“. Der Opfervertreter hingegen verwies auf Mails, in denen Vale-Vertreter Druck beim TÜV gemacht haben sollen, ein positives Gutachten zu fertigen. Und er benannte technische Details, die belegen sollen, dass nicht sauber geprüft wurde.
Auf keinen gemeinsamen Nenner kam man auch bei der Frage, ob der Vale-Konzern, der TÜV oder beide zur Entschädigung verpflichtet sind. 5,8 Milliarden Euro stehen im Raum, die der Vale-Konzern versprochen haben soll. Das meiste davon gehe in den Straßenbau, der wiederum vor allem den Bergbau-Konzernen nutzt, kritisierte Opferanwalt Spangenberg.
„Von den Angehörigen hat noch niemand irgendeine Entschädigung erhalten.“ TÜV-Anwalt Hanfland widersprach: Die Auszahlung werde vorbereitet, im kommenden Jahr solle Geld fließen, „eine gigantische Summe“. Und zwar auch an die Angehörigen. Dies bezweifelten die Kläger. Spangenberg: „Da müsste man noch Jahre und Jahrzehnte warten.“
In München war dies der erste und zugleich letzte Prozesstag. Die beiden Parteien sollen, so sagte die Richterin, nun schriftlich verschiedene Fragen beantworten. Auf das Urteil müssen die Menschen aus Brumadinho und der TÜV eine Weile warten – es ist für den 1. Februar 2022 angesetzt.
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