Prozess gegen Ex-Wehrmachtsoffizier: Einziger Zeuge spricht
Im Prozess gegen einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier sagt der einzige Überlebende des Massakers in Falzano di Cotona aus
MÜNCHEN taz Welche Erinnerungen hat das Opfer eines Gewaltverbrechens 64 Jahre nach der Tat? Kann es vor Gericht den Tathergang genau schildern? Gino M. schaffte es. Am Dienstag sagte der einzige Überlebende des Massakers in Falzano di Cotona vor dem Schwurgericht in München aus. Angeklagt ist Josef S., ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier. Er soll im Juni 1944 die Ermordung von vierzehn Menschen angeordnet haben.
Die Belastung, sich vor Gericht an den 27. Juni 1944 zu erinnern, war M. kaum anzumerken.
An jenem Junitag durchsuchte das Gebirgsbataillon 818 die Region um Falzano. Es wollte einen "Racheakt" wegen der Tötung zweier deutscher Soldaten verüben. "Außerhalb meines Dorfes nahmen mich Soldaten fest", sagte M., der damals 15 Jahre alt war. In einem Bauernhaus, erzählt er weiter, wurde er mit zehn weiteren Zivilisten eingesperrt.
Dann kam ein Offizier auf einem Motorrad vorbei. "Wir hofften noch, dass wir ,nur' in ein Konzentrationslager kommen würden." Doch dann beobachteten sie, wie Kisten in den ersten Stock des Hauses getragen wurden. "Erst beim zweiten Mal ist das Haus in die Luft geflogen", sagte M. "Ich wurde durch den Körper eines unglücklichen Kameraden geschützt." Als Schreie der Verschütteten zu hören waren, schossen die Soldaten mit Maschinengewehren in die Trümmer.
M. war dem Erstickungstod nahe und durch heiße Trüm- mer schwer verletzt. "Ich flehte darum, man sollte mich töten, weil die Schmerzen unerträglich waren." Doch M. wurde von einer Frau und ihrem Bruder gerettet - als Einziger. Drei weitere Zivilisten hatte die Wehrmacht schon bei der Festnahme erschossen.
Bis heute macht M. das Erlebte zu schaffen. "Am Anfang ging es mir sehr schlecht. Sobald ich die deutsche Sprache hörte, bin ich davongelaufen", sagte er. Heute muss der frühere Polizeibeamte, der im Gericht Medien und Behörden bittet, das Verfahren rasch zu beenden, noch zeitweise ein Stützkorsett tragen.
Wenig Rücksicht auf M. nahmen der Angeklagte und seine Verteidiger. Josef S. mischte sich bei der Inaugenscheinnahme von Bildern derart ein, dass der Richter ihn ermahnte. Sein Rechtsanwalt Klaus Goebel bohrte nach: "Sind Sie jetzt um 13.30 Uhr oder um 15 Uhr in Falzano angekommen?"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn