Proteste in Libyen: Gadaffi schlägt "Tag des Zorns" nieder
Die libysche Regierung begegnet Aufrufen zum Massenprotest mit Gewalt. Mindestens 16 Menschen sind in mehreren Städten ums Leben gekommen.
BERLIN taz | Facebook-Gruppen von Libyern hatten zum "Tag des Zorns" aufgerufen, aber zornig war am Donnerstag vor allem das Regime von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Mindestens 16 Menschen sollen nach ersten Bilanzen bei der Niederschlagung von Protesten in mehreren libyschen Städten ums Leben gekommen sein. Libysche Exilkreise in der Schweiz berichteten von 13 Toten in der Stadt Baida in der Nacht zum Donnerstag, dazu zwei in Zentana und einer in Rijban.
Videos aus der ostlibyschen Stadt Baida zeigten ein brennendes Regierungsgebäude. Die in Genf ansässige libysche Exilorganisation "Human Rights Solidarity" (HRS) sagte, auf Dächern postierte Scharfschützen hätten in Baida 13 Menschen getötet. Die Stadt sei von Sicherheitskräften abgeriegelt, Internet- und Telefonverbindungen unterbrochen, erklärte HRS-Mitglied Ahmed Elgasir. Gegenüber CNN sagte ein Oppositioneller, die Krankenhäuser in der Stadt seien voll mit Verletzten.
In der Hauptstadt Tripolis ließ die Regierung gestern loyale Demonstranten aufmarschieren, um Protestaufrufe im Keim zu ersticken. In SMS-Nachrichten appellierte eine regimetreue "Jugend Libyens" dazu, nicht an den vier "roten Linien" zu rütteln - Gaddafi, der territorialen Integrität des Landes, dem Islam und der Sicherheit des Staates. Beide Seiten beriefen sich für ihre gestrigen Aufrufe auf den 5. Jahrestag von Großdemonstrationen in Tripolis gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen 2006, bei denen vor dem italienischen Konsulat neun Menschen getötet worden waren.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden vorab in Tripolis sowie in der zweiten großen libyschen Stadt Benghazi mehrere Menschenrechtler festgenommen. In Benghazi hatte es bereits in der Nacht zum Mittwoch schwere Unruhen gegeben.
Gaddafi ist 42 Jahre an der Macht und damit der dienstälteste Staatschef der Welt und regiert Libyen absolut autoritär. Die libysche Volksrepublik hat trotz ihres immensen Ölreichtums ihren 6,3 Millionen Einwohnern keinen allgemeinen Wohlstand bescheren können. Die Ölmilliarden werden ohne öffentliche Rechenschaft verbraucht, 90 Prozent der Konsumgüter des Landes werden importiert, und der libysche Außenhandel ist fest im Griff einer schmalen Elite, während ein Großteil der Jugend arbeitslos ist.
Ein Fünftel der Bevölkerung sind afrikanische Einwanderer ohne Rechte. Gaddafi hielt bis zuletzt zum tunesischen Diktator Ben Ali, der am 14. Januar gestürzt wurde, und hat flüchtige Mitglieder von dessen Familienclan aufgenommen. Am Mittwoch erklärte Gaddafi, die Protestwelle in der arabischen Welt sei ein Versuch der "Weißen", also Europa und der USA, sich der "Grünen", also der Muslime, zu entledigen.
Libyen liegt zwischen Tunesien und Ägypten, aber anders als in Tunis und Kairo gibt es in Tripolis keine Tradition unabhängigen politischen Denkens. Libyens Staatswirtschaft hat keine wirkliche Mittelschicht hervorgebracht, die von der Gunst des Staates unabhängig sein könnte. So gestaltet sich die Bildung einer organisierten Opposition schwierig. Islamistische Untergrundgruppen sind in der Vergangenheit blutig niedergeschlagen worden.
Die wichtigste, die "Libysche Islamische Kampfgruppe", schloss sich 2007 al-Qaida an. Mehrere ihre Führer wurden diese Woche als Reaktion auf die Proteste aus der Haft entlassen, und die größten Demonstrationen ereigneten sich in islamistischen Hochburgen.
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