: Protestantischer Triumph in Nordirland: Damit die Orangeisten einen 300 Jahre alten Sieg über die Katholiken mitten in den katholischen Vierteln von Belfast zelebrieren konnten, mußten die BewohnerInnen weichen. Aus Belfast Ralf Sotscheck
Triumphmarsch, flammende Gebete
Plötzlich packen zwei Polizisten die junge Frau an den Armen und zerren sie hinter einen Jeep in eine Seitenstraße. Gerard Rice, dem Vorsitzenden des Bürgervereins, ergeht es nicht besser. Auch der lokale Pfarrer wird weggeschickt. Die BewohnerInnen der Ormeau Road, einer kleinen katholischen Enklave im protestantischen Süden von Belfast, haben in ihrer Straße nichts zu suchen — jedenfalls nicht am Freitag morgen. 500 Polizisten haben das Viertel seit dem Abend zuvor mit 150 Jeeps abgeriegelt. Auf dem Sportplatz weiter unten an der Straße lagern Soldaten der britischen Armee — Verstärkung, falls sie nötig sein sollte.
Dann ist es soweit: Die Polizei schiebt die mobilen Metall-Sichtblenden von der Ormeau-Brücke, die Jeeps geben den Weg frei. Von der anderen Seite der Brücke marschieren etwa 200 Protestanten in die Ormeau Road, jeder in der Uniform seiner Orangeisten-Loge und mit einer breiten orangenen Schärpe um den Hals. Der Orden funktioniert als ideologische Klammer für die konkurrierenden Spielarten des Protestantismus. Die „Imperial Blues“ sind aus Paisley in Schottland herübergekommen, die „Ballynafeigh Apprentice Boys“ stammen aus einem Vorort von Belfast.
Die dumpfen Lambeg-Trommeln hört man schon von weitem: Jede Loge hat ihre eigene Kapelle mitgebracht. Die Parade rückt näher. Die in einer Seitenstraße, der Rutland Street, eingekesselten BewohnerInnen beginnen hinter den Jeeps zu skandieren: „Keine Rechte, keine Gesetze“. Sofort läßt ein Polizist den Motor seines Jeeps minutenlang aufheulen, damit die Radio- und Fernsehmikrofone das nicht aufnehmen können. Die Parade zieht an der Rutland Street vorbei; die Trommler und Flötisten spielen die „Sash“, ein markerschütterndes protestantisches Triumphlied.
Dann ist der Spuk vorbei. Hinter den Jeeps taucht Gerry Adams auf, der Präsident von Sinn Fein. Was er von den Schüssen hält, durch die in der Nacht zuvor drei Polizisten in Belfast verletzt worden sind? Man müsse das im Kontext sehen, sagt Adams. Bei der Orangeisten-Parade durch die katholische Garvaghy Road in Potadown seien am Donnerstag 30 Menschen verletzt worden, als die Polizei mit Knüppeln und Plastikgeschossen gegen die BewohnerInnen vorging, die die Straße blockieren wollten. „Ich bewundere die Leute von der Garvaghy und Ormeau Road, die trotz der Provokationen friedlich demonstriert haben“, sagt Adams. „Die Protestanten feiern ihren Sieg über die Katholiken vom Jahr 1690“, sagt Anthony Curran, der katholische Gemeindepfarrer. „Wir wollen da nicht mitfeiern. Deshalb hat man seit gestern abend eine Blockade über unser Viertel verhängt.“ Wer hinein wollte, mußte sich ausweisen. Nur wer auf dem Wahlregister der Ormeau Road stand, durfte passieren. Eine Frau und ihre Tochter, die keine Papiere bei sich hatten, mußten bei Verwandten übernachten.
Auch Gerry Adams wurde am Donnerstag nicht in das Viertel hineingelassen. Pfarrer Curran hatte an der Ormeau Bridge zu einer Andacht aufgerufen. Im Schatten der Polizei-Jeeps beteten rund hundert Menschen einen Rosenkranz für einen gewaltfreien 12. Juli, den wichtigsten Feiertag im protestantischen Kalender. Nach den Ereignissen von Portadown hat sich Angst breitgemacht.
Ganz anders auf der Sandy Row, einem protestantischen Arbeiterviertel nur einen Kilometer von der Ormeau Road entfernt. Dort feierte man zur selben Zeit den „Sieg von Portadown“ mit einem Dankesgebet vor Reid's Schuhladen an der Ecke Albion Street. Über dem Eingang warb ein rotes Schild für Reis's Sonderangebote, daneben hing ein Wahlplakat für Gary McMichael. Der zum Politiker gewendete Ex-Terrorist ist im Mai in das nordirische Forum gewählt worden und nimmt an den Friedensverhandlungen teil. Einer seiner früheren Mitkämpfer saß vorgestern in der Broadway-Kneipe um die Ecke. Zum Beweis seiner Aktivitäten krempelte er den Ärmel hoch und zeigte eine Tätowierung: das Wappen der Ulster Defence Association, die im Laufe des Konflikts Dutzende von Katholiken umgebracht hat, aber erst Ende der achtziger Jahre verboten wurde.
Als die Kneipe um halb zwölf dichtmachte, zogen die Gäste geschlossen die Sandy Row hinunter zu dem freien Platz gleich neben Belfasts Hauptstraße, der Great Victoria Street. Dort hatten Jugendliche in wochenlanger Arbeit aus Holzpaletten einen zwölf Meter hohen Scheiterhaufen in Form einer Kirche aufgebaut — einer katholischen Kirche, kein Zweifel. Auf dem Dach steckte die irische Trikolore, auf die jemand die Buchstaben „RUC“ gemalt hatte. Das war, bevor die Royal Ulster Constabulary, die nordirische Polizei, den Orangeisten in Portadown nachgegeben hatte.
Zehn Sekunden vor Mitternacht begann der Countdown. Schlag zwölf warf jemand eine Fackel in den Scheiterhaufen, und im Nu stand die „Kirche“ in Flammen. Eine Band spielte ein englisches Lied aus dem Zweiten Weltkrieg, dann legte ein Discjockey Techno auf. Der Nieselregen tat der Volksfeststimmung keinen Abbruch, sämtliche EinwohnerInnen der Sandy Row hatten sich um das Feuer versammelt.
Etwas abseits standen zwei alte Männer in ihren Sonntagsanzügen und mit Tweed-Kappen auf dem Kopf. „Es ist wohl das letzte Mal, daß wir hier solch ein Feuer haben“, sagte Jack, der jüngere. „Sie wollen den Platz zubauen, dann kann man nur noch ein kleines Feuerchen machen.“ Hugh, bestimmt schon 85, stimmte ihm zu: „Früher hat es ohnehin mehr Spaß gemacht. Da kamen die Katholiken von den angrenzenden Vierteln herüber, und wir haben zusammen gefeiert. Inzwischen trauen sie sich längst nicht mehr her. Kein Wunder, wenn unsere Leute mit Getöse durch ihre Viertel ziehen und wir hier ihre Fahne verbrennen.“ Als die Flammen die Trikolore erreichten, brach die Menge in Jubel aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen