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Propaganda des Wortes

■ Die Gefangenen müssen an der „gesamten politischen Diskussion teilnehmen“

KOMMENTARE

Für uns hat sich nichts verändert“, verlautbarte das Westberliner Hungerstreik-Infobüro mit einem Anflug von Trotz nach der überraschenden Abbrucherklärung der Gefangenen. Gemessen an den ursprünglichen Forderungen erscheint das greifbare Ergebnis nach 101 Tagen Hunger -Tortur in der Tat niederschmetternd. Ein bis zwei große Gruppen wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Keine/r der vier kranken oder haftunfähigen Gefangenen ist frei. Die Zusammenlegung in Kleingruppen soll nicht in „Wohngruppen“, sondern, soweit machbar, unter „Normalvollzugsbedingungen“, also unter Einbeziehung sozialer Gefangener erfolgen. Vor allem aber scheint eine Entwicklung vorgezeichnet, an deren Ende es zwei Klassen von Gefangenen gibt, jedenfalls dann, wenn es unter der Hand keine Zusagen der unionsregierten Länder gibt.

Und dennoch: Die Unterstützer im Hungerstreik-Büro liegen mit ihrer Erklärung daneben. Nach diesem Hungerstreik ist nichts mehr wie es war. Kein Land kann es sich künftig leisten, die isolierenden Sonderhaftbedingungen in der bisherigen Form aufrechtzuerhalten. Das Verhältnis der RAF -Gefangenen zum staatlichen Gegenüber, zur linken und liberalen Öffentlichkeit hat sich grundsätzlich verändert und umgekehrt.

Einige wenige Wochen war die großspurige Behauptung der Unterstützergruppen, keine Partei oder Organisation in diesem Land komme an dem politischen Faktor RAF vorbei, Realität. Die Gefangenen haben die Republik in böswillige und gutwillige Interpreten ihrer Erklärungen gespalten. Im Verlauf des Hungerstreiks sind sie im fast schon bürgerlichen Sinne „politikfähig“ geworden. Das „Schweinesystem“ erwies sich nicht als der monolithische Block, als den ihn die Anhänger der revolutionären Pose gerne sehen möchten. Die Aussetzung des Hungerstreiks von Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo als Reaktion auf das Kleingruppenangebot der SPD-Länder war eine kluge, realpolitische Reaktion auf die Niederungen und Realitäten des bundesdeutschen Justizföderalismus. Der Abbruch schließlich entspringt - neben der Selbstverständlichkeit, daß niemand sterben wollte - einer realistischen Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse.

Als größten Erfolg ihres Hungerstreiks können es sich die zuvor fast vergessenen Gefangenen an die Brust heften, daß sie weit über die Unterstützer-Szene hinaus wieder zu einem ernstzunehmenden Gesprächspartner geworden sind oder es doch wenigstens werden können. Die Formel von der „gesamten politischen Diskussion“, an der die Gefangenen teilnehmen wollen, ist eine Zukunftsformel. Sie unter den nach wie vor schwierigen Bedingungen der Gefangenschaft praktisch umzusetzen, stellt hohe Ansprüche an alle Beteiligten. Alle außerhalb der Knäste, die diese Formel als positives Signal gewertet haben, müssen nun im Alltag beweisen, daß sie zu einer solchen politischen Auseinandersetzung auch tatsächlich bereit sind - und zwar ehrlich und nicht als Einbahnstraße, an deren Ende nur „Abschwören!“ stehen kann.

Auch die Gefangenen müssen sich auf ein offenes Ende der Diskussion einlassen. An ihnen ist es, klarzumachen, daß sie zur politischen Entwicklung Inhaltliches beitragen können und wollen. Das geht nur verbal. Die „Propaganda des Wortes“ ist ein mühsames Geschäft und nicht annähernd so schlagzeilenträchtig wie die „Propaganda der Tat“. Die Gefangenen der RAF müssen akzeptieren, daß sie eine Stimme unter vielen sind. Daran - und nicht daran, ob es am Ende zwei oder fünf Gefangenengruppen gibt - wird sich entscheiden, ob der zehnte Hungerstreik der RAF einen historischen Wendepunkt darstellt oder einer unendlichen Geschichte nur ein weiteres Kapitel hinzufügt.

Gerd Rosenkranz

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